Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
Sie sich auch nicht aufgeregt, wenn er abgetaucht war. Im Gegenteil, Sie haben ihn immer verteidigt und …“
„Das reicht, ich habe dich nicht nach deiner Meinung gefragt.“ So brüsk reagierte Verena selten. Hetzel ließ ihre negativen Seiten nach oben kommen.
„Wie sind Ihre Gespräche mit den beiden Witwen gelaufen?“ Frau Schramms im LKA hinlänglich bekannte Neugier war stärker als ihr Unmut über die erteilte Rüge.
„Frau Wächter hat eingeräumt, dass sie seit einigen Monaten ein Verhältnis mit Baumgart hatte. Angeblich war es ernst, sogar von Scheidung soll zuletzt die Rede gewesen sein.“
„Das sind mal gute Nachrichten. Dann haben wir endlich ein Motiv. Frau Baumgart wird das nicht so geschluckt haben. Einen der reichsten Männer in Niedersachsen gibt man nicht einfach an eine andere Frau ab.“
„Frau Baumgart wusste nichts von der Affäre. Das zumindest hat sie behauptet. Frau Wächter hat das bestätigt. Falls sie gelogen haben, sind sie verdammt gute Schauspielerinnen. Ich persönlich glaube ihnen.“
Assistentin Schramm wollte sich mit der Auskunft nicht zufriedengeben. „Und wenn es in Wirklichkeit ganz anders war und Baumgart seine Frau eingeweiht und sogar die Scheidung gefordert hat? Dann hätte Frau Baumgart ein Motiv. Und Geld genug, um einen Auftragsmörder im Steintorviertel zu verdingen, hat sie allemal.“
Verena teilte die Überlegungen ihrer Mitarbeiterin nicht. „Weshalb hätte sie dann Wächter umbringen lassen sollen?“
Auch dazu hatte Assistentin Schramm eine Antwort parat. „Um Spuren zu verwischen. Bei so viel Geld, immerhin geht es um einige hundert Millionen, spielt ein Menschenleben mehr oder weniger keine Rolle.“
„Selbst wenn du recht haben solltest, wir haben keinerlei Beweise. Und ich kann schlecht zu Frau Baumgart gehen und sie mit waghalsigen Unterstellungen konfrontieren. Die hetzt mir sofort ihre Anwälte auf den Hals. Also mach dich auf die Socken und sprich mit Kleinsorge und Pieper.“
Nachdem ihre Mitarbeiterin sichtlich unzufrieden gegangen war, machte Verena sich über ihre eingegangenen Mails her. Seit gestern Abend neunundvierzig neue, die Hälfte davon Schrott, Werbung, Spams, Pressemitteilungen. Eine Mail von Kollege Schuster aus Eberswalde weckte ihre Aufmerksamkeit. Er bat um ihren Rückruf. In seinem Büro erreichte sie ihn jedoch nicht. Sie hinterließ eine Nachricht auf seiner Sprachbox. Wenig später tauchte Direktor Hirschmann bei ihr auf. Heute war er Gott sei Dank besser gelaunt als bei seinem letzten Besuch. Er brachte den neuesten Klatsch aus dem Innenministerium mit. Minister Lühmann stand unter Druck. Nicht nur wegen der Dongabande, es gab einen neuen Polizeiskandal. Der erst vor wenigen Wochen von ihm ernannte stellvertretende Polizeipräsident der Landeshauptstadt war im Rotlichtmilieu gesichtet worden. Hirschmann grinste schadenfroh. „Sehr peinlich. Er soll im Bordell von Idriz Takiri Gast gewesen sein. Kaum zu glauben. Ausgerechnet in der Spelunke des ungekrönten Königs des Steintorviertels. Und der Gipfel des Ganzen, er hat sich mit dem Dienstwagen kutschieren lassen. So blöd kann man doch gar nicht sein!“
Verena hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie dachte über den Aktivisten Kraft nach. Hatte er wirklich Baumgart bedroht und vielleicht auch Wächter im Visier gehabt? „Sie sehen blass um die Nase aus. Die Fälle setzen Ihnen wohl zu? Wenn Sie Hilfe brauchen …“ Der Direktor putzte umständlich seine Brille, schielte dann auf seine Uhr. „Oh, schon so spät! Ich muss dann mal, ein Termin außerhalb.“
Kaum war der Direktor gegangen, klingelte auch schon ihr Telefon. Schuster rief zurück. Nach einigen unverbindlichen Floskeln kam er zur Sache. „Es gibt Neuigkeiten. Ein weiterer Taxifahrer hat sich bei den Berliner Kollegen gemeldet. Er hat erst heute Morgen von dem Mord an Baumgart erfahren. Er war einige Tage bei Verwandten in Gelsenkirchen.“
Gelsenkirchen ist nicht das Ende der Welt, dachte Verena. Aber vielleicht hatte der Mann weder Zeitung gelesen noch Radio gehört.
„Er hat den Fahrer gesehen, in dessen Wagen Baumgart gestiegen ist. Schlanker Mann, kantiges Gesicht, schwarze Haare, dunkle Brille. Das Alter, schwer zu schätzen, meinte er. Während wir telefonieren, wird gerade ein Phantombild nach seinen Angaben angefertigt. Sobald ich es habe, faxe ich es Ihnen.“
Endlich eine aussichtsreiche Spur. „Vielleicht sollten die Berliner Kollegen checken, ob er Ähnlichkeit mit einem von
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