Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
Milners Leibwächtern hat“, schlug Verena vor. „Milner ist kein Unbekannter in der Bundeshauptstadt, seine Leibwächter müssten der Polizei bestimmt ebenfalls bekannt sein.“
Am anderen Ende waren Stimmen zu hören. Mit den Worten „Ich muss leider Schluss machen. Sie hören von mir“ beendete ihr Kollege überstürzt das Gespräch.
40
H ANNOVER , L ANDTAG
Jemand hatte seinen Schreibtisch durchsucht. Die Aufzeichnungen über die Brüsselreise, die in der mittleren Schublade zuoberst gelegen hatten, lagen jetzt unten. Wagner war beunruhigt. Die kurdische Frau, die einmal wöchentlich die Büros der Bürgerfraktion sauber machte, kam nicht infrage. Sie war der deutschen Sprache nicht mächtig. Die Fraktionssekretärinnen kommunizierten mit ihr in einer eigenwilligen Zeichensprache. Auf mit Pfeilen versehenen DIN-A4-Bögen machten sie auf dreckige Ecken und Spinnweben an den Wänden aufmerksam, die die Frau nur allzu gerne übersah. Niemals würde sie in seinen Unterlagen schnüffeln.
Wagner war sich sicher, dass er gestern Abend wie immer sein Büro abgeschlossen hatte. Und heute Morgen hatte er seine Bürotür verschlossen vorgefunden. Trotzdem musste sich jemand Zugang zu seinem Büro verschafft haben. Einbrecher konnten es nicht gewesen sein. Die wertvolle Schreibtischuhr aus reinem Silber, ein Geschenk des früheren Ministerpräsidenten, stand noch auf ihrem Platz. Die Gelegenheitsdiebe, die seit Monaten im Landtag für Unruhe sorgten, hätten sie hundertprozentig mitgehen lassen. Für einen Moment erwog Wagner, den Sicherheitsdienst des Landtages einzuschalten, dann verwarf er den Gedanken schnell wieder. Pietros Andeutungen gingen ihm durch den Kopf. Wie es aussah, hatte Pietro recht mit seiner Anschuldigung und Marion Klaßen spionierte hinter ihm her.
Die spannende Frage war allerdings, weshalb sie das tat. Wagner stand nicht in Konkurrenz zu ihr, er hatte sich auch niemals mit ihr angelegt. Im Gegenteil, er entwickelte sich immer mehr zu ihrem Schoßhündchen. Es verging kaum ein Tag, an dem sie ihn nicht mit Sonderaufträgen eindeckte. Längst hätte er dem Treiben der Vorsitzenden ein Ende machen müssen. Seine naturgegebene Konfliktscheu hinderte ihn daran. Er war nun mal nicht der große Kämpfer vor dem Herrn und steckte Unrecht lieber ein, als sich dagegen zu wehren. Vermutlich war das der wahre Grund dafür, dass er mit seinen Vorgesetzten stets gut ausgekommen war, sogar mit Uwe Stein, dem psychisch schwer gestörten Spitzenkandidaten. Nur mit Marion Klaßen war es anders. Sie vertraute ihm nicht. Aber auch er hatte sich verändert. Seine Loyalität gegenüber dem Politikbetrieb war einer wachsenden Distanz gewichen. Immer häufiger fragte sich Wagner, warum er in einem System mitmachte, das zu großen Teilen auf Täuschungen, Lügen und Intrigen beruhte.
Das Klingeln seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken. Er freute sich, Bianca Fröhlichs Stimme zu hören. Sie kam gleich zur Sache. „Ich habe mit dem Gewerbeaufsichtsamt in Hildesheim gesprochen. Die Sachbearbeiterin war zickig und stur wie ein Maulesel. Sie hat mich an die Pressestelle verwiesen. Die Dame war ebenfalls bock-beinig. Ich musste ordentlich Druck machen, bis sie den Namen des Antragstellers herausgerückt hat.“
„Wie ich Sie kenne, wird Ihnen das nicht besonders schwergefallen sein“, bemerkte Wagner, der die Journalistin aus seiner Zeit als Pressesprecher als besonders hartnäckig in Erinnerung hatte. „Aber Spaß beiseite, wer ist es?“
„Die Firma Müller Consult mit Sitz in Hannover. Sie ist spezialisiert auf Unternehmensberatung und Insolvenzverwaltung. Eine merkwürdige Kombination, finde ich. Der Geschäftsführer heißt Ansgar Müller. Ich habe im Handelsregister nachgeschaut, wer die Gesellschafter sind. Sechzig Prozent gehören der Baumgart Holding, die anderen vierzig Prozent einer Firma namens FuturInvest.“
„Dann ist Baumgart also selbst nicht in Erscheinung getreten, sondern hat Müller als Strohmann vorgeschoben?“, fasste Wagner nach.
„Allem Anschein nach, ja. Und es kommt noch dicker. Ansgar Müller ist vor fünf Wochen tödlich verunglückt. Ein Autounfall nachts auf der B1.“ Sie nieste. „Scheiß Kälte. Von Frühling keine Spur“, schimpfte sie.
„Baumgart ist also Mehrheitsgesellschafter der Klinik, wenn auch über Umwege. Ich frage mich, weshalb so umständlich? Und die Firma FuturInvest, wem gehört die?“, hakte Wagner nach.
Bianca musste erneut niesen. „Keine Ahnung.
Weitere Kostenlose Bücher