Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
Nordafrika.
Auch Umar war entzückt. „Es gibt sogar eine Toilette und einen Herd“, rief er begeistert. „Wir haben riesiges Glück, dass die Italiener uns ausgesucht haben.“ Der dritte Flüchtling, ein Tunesier, zeigte sich unbeeindruckt. Er hatte ein mürrisches Gesicht aufgesetzt.
Eine Stunde später verließen sie Tripolis. In dieser Nacht schlief Taban traumlos und tief. Bereits in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages erreichten sie Mazara del Vallo auf Sizilien. Taban war überglücklich. Sein Wunsch hatte sich erfüllt, das gelobte Europa war erreicht.
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H ANNOVER , L ANDTAG
Marion Klaßen war außer sich und Wagner kam sich wie ein dummer Junge vor. Was fiel ihr ein, so mit ihm zu reden? Ganz abgesehen davon, dass seine Einbestellung in das Büro der Fraktionsvorsitzenden zu einer ungünstigen Zeit kam. Wagner war im Begriff gewesen, sein Büro zu verlassen. Tanja Sommer brauchte seine Hilfe in puncto Wirtschaftsausschuss und hatte ihn zum Mittagessen eingeladen.
Ohne Umschweife kam die Vorsitzende zur Sache. Es ging um die bevorstehende Abstimmung über die Landesbürgschaft der NORD-Bank. Marion Klaßen wollte erreichen, dass die Fraktion geschlossen für die Bürgschaft stimmte. Wagner hatte bei einer Probeabstimmung gegen die Parteilinie gestimmt. Die Vorsitzende war ungehalten. „Sie wissen, welche Konsequenzen das hat? Die Fraktion heißt es nicht gut, wenn Mehrheitsbeschlüsse missachtet werden.“
So ein Quatsch, dachte Wagner. Darum ging es doch gar nicht. Sie wollte keine Abweichler, weil die ihrem Image schadeten. Man könnte ihr ja Führungsschwäche vorwerfen. Schwäche und Versagen ließ Marion nur für andere gelten. Sie hingegen arbeitete kontinuierlich an dem Image einer zweiten Eisernen Lady.
Dieses Mal wollte Wagner nicht klein beigeben. „Ich kann einfach nicht einsehen, weshalb die NORD-Bank eine weitere Landesbürgschaft erhalten soll. Der Vorstand hat Mist gebaut und die Steuerzahler sollen dafür aufkommen. In meinen Augen ist das skandalös.“
Marion Klaßens Stimme klang schneidend. Obwohl sie erst wenige Monate ihr Amt bekleidete, empfand sie Widerspruch aus den eigenen Reihen als Majestätsbeleidigung. „Die NORD-Bank ist sehr wichtig für uns. Wenn wir an die Regierung kommen wollen, brauchen wir starke Verbündete in der Finanzwelt.“
„Das steht meines Erachtens im Moment nicht zur Debatte. Abgestimmt wird über eine Bürgschaft in Höhe von zweihundert Millionen Euro. Eine Menge Geld, das an anderer Stelle fehlt, bei den Schulen und Hochschulen zum Beispiel und im Gesundheitsbereich. Wir wurden gewählt, um die Belange der Bürger zu vertreten, nicht die einer Großbank und der Partei.“
Die Fraktionsvorsitzende wurde lauter. „Ihr salbungsvolles Geschwafel kommt bei mir nicht an. Sie sollten sich gut überlegen, was Sie tun, Wagner. An Ihrer Stelle wäre ich nicht so verwegen. Mir ist durchaus bekannt, dass Albis Aufstieg von Intrigen und Vertuschungen begleitet war, und Sie, Wagner, haben als sein Spindoktor kräftig mitgemischt.“
Wagner schluckte. Sie hatte ihn kalt erwischt und eine empfindliche Schwachstelle in seiner politischen Laufbahn angesprochen. Der Widerstreit zwischen Loyalität und Anstand war bei ihm stets zugunsten der Loyalität ausgegangen, wobei auch seine Bequemlichkeit eine Rolle gespielt haben mochte. Seine Stimme klang emotionslos, obwohl es in ihm brodelte. „Wen interessiert das jetzt noch? Albi ist tot!“
„Albi war in Machenschaften verwickelt, die strafrechtlich relevant sind, in jedem Fall aber die Grenze des politischen Anstandes überschritten haben, und Sie, Wagner, haben alles gedeckt. Ich glaube schon, dass das auf Interesse stößt. Die Gazetten werden sich mit Wonne darauf stürzen. Es wäre schade um Sie, allzu viele junge begabte Abgeordnete hat unsere Fraktion ja leider nicht vorzuweisen.“
Sie drohte ihm und Wagner zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie ihre Drohung wahrmachen würde, selbst wenn sie der Partei damit einen Bärendienst erwies. Am Ende würde sie es so hinbiegen, dass ihr die Rolle der sauberen, integren Politikerin zufiel, die mit all dem nichts zu tun hatte, sondern endlich in der Partei aufräumte. Ihm hingegen drohten Ermittlungen. Auch wenn es Wagner gehörig gegen den Strich ging, musste er sich wohl oder übel fügen. Nicht nur seinetwegen, auch um das Erbe Albis nicht zu beschmutzen.
„Na, es geht doch! War doch nicht so schwer“, sagte Marion Klaßen, als er
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