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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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still eine Weile. Dann fragte meine Mutter: »Hast du viel gelitten, Bub?« – »Nicht viel, Mutter.« – »Hast dich nach deiner Elisabeth gesehnt?« (Sie sagte nicht: »deiner Frau«, sondern: »deiner Elisabeth« – und sie betonte das »deiner«.) – »Nein, Mama!« – »Liebst sie noch?« – »Es ist zu weit, Mama!« – »Du fragst gar nicht nach ihr?« – »Ich hab's eben tun wollen!« – »Ich hab' sie selten gesehn«, sagte meine Mutter. »Deinen Schwiegerpapa häufiger. Vor zwei Monaten war er zuletzt hier. Sehr betrübt und dennoch voller Hoffnung. Der Krieg hat ihm Geld gebracht. Daß du gefangen bist, haben sie gewußt. Ich glaub', sie hätten es vorgezogen, dich in der Gefallenenliste zu sehen oder unter den Vermißten. Elisabeth ...«
    »Ich kann mir's denken«, unterbrach ich.
    »Nein, du kannst dir's nicht denken«, beharrte meine Mutter. »Rate, was aus ihr geworden ist?«
    Ich vermutete das Schlimmste oder das, was in den Augen meiner Mutter als das Schlimmste gelten mochte.
    »Eine Tänzerin?« fragte ich.
    Meine Mutter schüttelte ernst den Kopf. Dann sagte sie traurig, beinahe düster: »Nein – eine Kunstgewerblerin. Weiß du, was das ist? Sie zeichnet – oder vielleicht schnitzt sie gar – verrückte Halsketten und Ringe, so moderne Dinger, weißt du, mit Ecken, und Agraffen aus Fichtenholz. Ich glaube auch, daß sie Teppiche aus Stroh flechten kann. Wie sie hier zuletzt war, hat sie mir einen Vortrag gehalten, wie ein Professor, über afrikanische Kunst, glaube ich. Einmal gar hat sie mir, ohne um Erlaubnis zu fragen, eine Freundin mitgebracht. Es war –«, meine Mutter zögerte ein Weile, dann entschloß sie sich endlich zu sagen: »Es war ein Weibsbild mit kurzen Haaren.«
    »Ist das alles so schlimm?« sagte ich.
    »Schlimmer noch, Bub! Wenn man anfängt, aus wertlosem Zeug etwas zu machen, was wie wertvoll aussieht! Wo soll das hinführen? Die Afrikaner tragen Muscheln, das ist immer noch was anderes. Wenn man schwindelt – gut. Aber diese Leute machen noch aus dem Schwindel einen Verdienst, Bub! Verstehst du das? Man wird mir nicht einreden, daß Baumwolle Leinen ist und daß man Lorbeerkränze aus Tannenzapfen macht.«
    Meine Mutter sagte all dies ganz langsam, mit ihrer gewöhnlichen stillen Stimme. Ihr Gesicht rötete sich.
    »Hätte dir eine Tänzerin besser gefallen?«
    Meine Mutter überlegte eine Weile, dann sagte sie zu meiner heftigen Verwunderung:
    »Gewiß, Bub! Ich möcht' keine Tänzerin zur Tochter haben, aber eine Tänzerin ist ehrlich. Auch noch lockere Sitten sind deutlich. Es ist kein Betrug, es ist kein Schwindel. Mit einer Tänzerin hat deinesgleichen ein Verhältnis meinetwegen. Aber das Kunstgewerbe will ja verheiratet sein. Verstehst du nicht, Bub? Wenn du dich vom Krieg erholt hast, wirst du's selber sehen. Jedenfalls mußt du deine Elisabeth morgen früh aufsuchen. Und wo überhaupt werdet ihr wohnen? Und was wird aus eurem Leben überhaupt? Sie wohnt bei ihrem Vater. Um wieviel Uhr willst du morgen geweckt werden?«
    »Ich weiß nicht, Mama!«
    »Ich frühstücke um acht!« sagte sie.
    »Dann sieben bitte, Mama!«
    »Geh schlafen, Bub! Gute Nacht!«
    Ich küßte ihr die Hand, sie küßte mich auf die Stirn. Ja, das war meine Mutter! Es war, als ob nichts geschehen wäre, als wäre ich nicht aus dem Krieg eben erst heimgekehrt, als wäre die Welt nicht zertrümmert, als wäre die Monarchie nicht zerstört, unser altes Vaterland mit seinen vielfältigen unverständlichen, aber unverrückbaren Gesetzen, Sitten, Gebräuchen, Neigungen, Gewohnheiten, Tugenden, Lastern noch vorhanden. Im Hause meiner Mutter stand man um sieben Uhr auf, obwohl man vier Nächte nicht geschlafen hatte. Gegen Mitternacht war ich angekommen. Jetzt schlug die alte Kaminuhr mit dem müden, zarten Mädchengesicht drei. Drei Stunden Zärtlichkeit genügten meiner Mutter. Genügten sie ihr? – Sie erlaubte sich jedenfalls keine Viertelstunde mehr, meine Mutter hatte recht; ich schlief bald mit dem trostreichen Bewußtsein ein, daß ich zu Hause war, mitten in einem zerstörten Vaterland, in einer Festung schlief ich ein. Meine alte Mutter wehrte mit ihrem alten schwarzen Krückstock die Verwirrungen ab.

XXIV
    Noch hatte ich keinerlei Angst vor dem neuen Leben, das mich erwartete, wie man heutzutage sagt: Ich »realisierte« es noch nicht. Ich hielt mich vielmehr an die kleinen, stündlichen Aufgaben, die mir auferlegt waren: und ich glich etwa einem Menschen, der, vor einer

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