Die Kapuzinergruft
Wiatka noch unterwegs auf dem Transport den Namen Jolanth Szatmary vernommen.
»Wo ist der Alte?« fragte Jolanth.
»Er muß bald kommen!« sagte Elisabeth.
Der Alte war mein Schwiegervater. Bald darauf kam er auch. Er stieß das übliche »Ah!« aus, als er mich sah, und umarmte mich. Er war gesund und munter. »Heil zurück!« rief er so triumphierend, als hätte er selbst mich heimgebracht. – »Ende gut, alles gut!« sagte er gleich darauf. Beide Frauen lachten. Ich fühlte mich erröten. »Gehn wir essen!« befahl er. »Sieh her«, sagte er zu mir, »dies habe ich alles mit meinen beiden Händen aufgebaut!« – Und er zeigte dabei seine Hände her. Elisabeth tat so, als suchte sie nach ihrem Mantel.
Also gingen wir essen, das heißt: wir fuhren eigentlich, denn mein Schwiegervater hatte freilich seinen Wagen und einen Chauffeur. »Ins Stammlokal!« befahl er. Ich wagte nicht zu fragen, welches Restaurant sein Stammlokal war. Nun, es war mein altes, wohlvertrautes, in dem ich mit meinen Freunden so oft gesessen hatte, eines jener alten Gasthäuser von Wien, in denen die Wirte ihre Gäste besser kannten als ihre Kellner und in denen ein Gast kein zahlender Kunde war, sondern ein geheiligter Gast.
Nun aber war alles verändert: Fremde Kellner bedienten uns, die mich nicht kannten und denen mein leutseliger Schwiegervater die Hand gab. Auch hatte er hier seinen »Extratisch«. Ich war sehr fremd hier, fremder noch als fremd. Denn der Raum war mir vertraut, die Tapeten waren mir Freunde, die Fenster, der rauchgeschwärzte Plafond, der breite grüne Kachelofen und die blaugeränderte Vase aus Steingut mit den verwelkten Blumen auf dem Fenstersims. Fremde aber bedienten mich, und mit Fremden saß ich und aß ich an einem Tisch. Ihre Gespräche verstand ich nicht. Mein Schwiegervater, meine Frau Elisabeth, Jolanth Szatmary sprachen von Ausstellungen; Zeitschriften wollten sie gründen, Plakate drucken lassen, internationale Wirkungen erzielen – was weiß ich! »Wir nehmen dich mit hinein!« sagte mein Schwiegervater von Zeit zu Zeit zu mir; und ich hatte keine Ahnung, wohin er mich mit »hineinnehmen« wollte. Ja, die Vorstellung allein schon, ich könnte »hineingenommen werden«, bereitete mir Pein.
»Anschreiben!« rief mein Schwiegervater, als wir fertig waren. In diesem Augenblick tauchte hinter der Theke Leopold auf, der Großvater Leopold. Vor sechs Jahren schon hatten wir ihn Großvater Leopold genannt. »Großpapa!« rief ich, und er kam hervor. Er mochte schon mehr als siebzig zählen. Er ging auf den zittrigen Beinen und den auswärts gekehrten Füßen, die ein Kennzeichen langgedienter Kellner sind. Seine hellen, erblaßten, rotgeränderten Augen hinter dem wackelnden Pincenez erkannten mich sofort. Schon lächelte sein zahnloser Mund, schon spreizten sich seine weißen Backenbartflügel. Er glitschte mir entgegen und nahm meine Hand zärtlich, wie man einen Vogel anfaßt. »Oh, gut, daß Sie wenigstens da sind!« krähte er. »Kommen Sie bald wieder! Werde mir die Ehre nehmen, den Herrn selbst zu bedienen!« Und ohne sich um die Gäste zu kümmern, rief er zu der Wirtin hinter der Kasse hinüber: »Endlich ein Gast!« – Mein Schwiegervater lachte.
Ich mußte mit meinem Schwiegervater sprechen. Jetzt überblickte ich, so schien es mir, die ganze Treppe, vor der ich stand. Unzählige Stufen hatte sie, und immer steiler wurde sie. Freilich, man konnte Elisabeth verlassen und sich nicht mehr um sie kümmern. An diese Möglichkeit dachte ich aber damals gar nicht. Sie war meine Frau. (Auch heute noch lebe ich in dem Bewußtsein, daß sie meine Frau ist.) Vielleicht hatte ich mich gegen sie vergangen; sicherlich sogar. Vielleicht auch war es die alte, nur halb erstickte Liebe, die mich glauben ließ, es triebe mich lediglich mein Gewissen. Vielleicht war's mein Verlangen, das törichte Verlangen aller jungen und jugendlichen Männer, die Frau, die sie einmal geliebt, später vergessen haben und die sich verändert hat, um jeden Preis noch einmal zurückzuverwandeln; aus Eigensucht. Genug, ich mußte mit meinem Schwiegervater sprechen, hierauf mit Elisabeth.
Ich traf den Schwiegervater in der Bar des alten Hotels, in der man mich sehr wohl kennen mußte. Um sicher zu sein, machte ich dort eine halbe Stunde vorher eine Art Rekognoszierung. Ja, sie lebten noch alle, zwei Kellner waren heimgekehrt und der Barmann auch. Ja, man erinnerte sich sogar noch, daß ich ein paar Schulden hatte – und wie wohl
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