Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
oder an den durch die Gicht gebeugten Schultern, den zurückhaltenden Bewegungen, dem leichten Hinken, das ich von Lorenzo so gut kannte. Offensichtlich hatte er Schmerzen! Er hatte den ganzen Abend nicht getanzt, obwohl sich viele junge Madonnen in seiner Nähe herumgedrückt und auf eine Aufforderung zum Tanz gewartet hatten. Seine sinnlichen Lippen waren zusammengepresst, was seine Schönheit nicht beeinträchtigte, sondern ihn interessant und attraktiv machte. Unwiderstehlich. Geheimnisse haben mich schon immer fasziniert.
Wer war er? Wieso duzte er mich so unbefangen?
»Seid Ihr …?« Eine Rakete zerplatzte in einem roten Feuerball am Himmel und ließ helle Funken zur Erde niederregnen.
»Guidobaldo da Montefeltro, Herzog von Urbino«, stellte er sich mit einer angedeuteten Verbeugung vor.
»Ich bin …«
»… Caterina«, sagte er und umarmte mich wie eine Schwester, um mich zart auf beide Wangen zu küssen. »Wie schön, dich endlich kennen zu lernen!«
»Euer Hoheit!«, protestierte ich und entwand mich seiner Umarmung. »Wir können doch nicht …«
Er lächelte nachsichtig. Die meisten Gäste drängten sich an den Fenstern des Saals, um das Feuerwerk zu betrachten. »Ich bitte dich, Caterina! Wir sind sozusagen Cousins.«
»Wie bitte?«, fragte ich überrascht.
»Mein Vater, Herzog Federico da Montefeltro, war der Taufpate von Lorenzo de’ Medici. Wenn uns das nicht schon »verwandt« macht, dann doch wenigstens unser gemeinsames Ziel: der Kampf gegen die Borgia.« Er sprach so leise, dass seine Worte im lauten Geknatter von Leonardos Feuerwerkskörpern beinahe versickerten.
»Euer Magnifizenz! Ich …«
»Ich heiße Guido«, unterbrach er mich. »Bei Giuliano hast du dich auch nicht mit unnötigen Schmeicheleien aufgehalten.«
»Giuliano?«, fragte ich verblüfft.
»Kardinal Giuliano della Rovere. Du hast drei Tage lang seine Festung in Ostia belagert und deine Forderungen gestellt, bevor du abgezogen bist und er wieder ruhig schlafen konnte.«
»Ich habe den Kardinal an seine Versprechen mir gegenüber erinnert!«, korrigierte ich den Herzog. Was mich, zugegeben, einige Mühe gekostet hatte – und ihn seine Nachtruhe.
»Nenn es, wie du willst, Caterina! Giuliano war beeindruckt … um nicht zu sagen: überwältigt von deinem Charme und deinen Argumenten. Er sandte einen Boten nach Urbino, um mich über eure Vereinbarungen zu informieren. Und ich war neugierig, La Cardinala – so nannte Giuliano dich in seinem Brief – endlich kennen zu lernen. Ich weiß, du gehst ungewöhnliche Wege, die zu ungewöhnlichen Orten führen …«
Ich wusste, was er meinte. Aber er hatte so viel Anstand, es nicht auszusprechen: das Bett des Papstes!
»… aber dass ich dich ausgerechnet hier treffen würde … und jetzt! Das ist nicht mutig, das ist gewagt! Es ist so heroisch wie töricht. Du hättest nicht nach Mailand kommen dürfen!«
»Was ist geschehen?«, fragte ich beunruhigt.
»Weißt du nicht, was Piero in Florenz treibt?«
Ich schüttelte den Kopf. So vieles wusste ich nicht! Und so vieles hatte ich nicht wissen wollen! Seit meiner Rückkehr aus Rom hatte ich mich in meinem Laboratorium eingeschlossen, war ich der Welt entflohen. Ich war vor der Verantwortung weggelaufen!
»Wir sollten nicht hier herumstehen wie zwei Marmorstatuen. Wir werden beobachtet«, murmelte er in Richtung Ludovico, der uns unwillige Blicke zuwarf. Ganz offensichtlich war er verärgert über mein Zusammentreffen mit dem Herzog von Urbino. »Lass uns tanzen!«, flüsterte Guido und führte mich in die Mitte des Saals.
Als wir die Pavane schritten, wartete ich ungeduldig, was er mir zu sagen hatte. Während einer engen Drehung, bei der sich unsere Körper berührten, begann er leise zu sprechen:
»Gestern Abend traf ein Bote aus Florenz ein. Ich lag mit einem schmerzhaften Gichtanfall im Bett, deshalb haben wir uns während des Banketts nicht getroffen. Aber ich wusste, dass du bereits im Castello Sforzesco angekommen warst, deshalb habe ich meinen Sekretär geschickt, um dich zu warnen. Doch er konnte dich nicht finden.«
Nach dem Bankett war ich unbemerkt aus dem Castello verschwunden. Ein Tanz mit Ludovico und eine weitere Demütigung wären mir unerträglich gewesen. Eigentlich hatte ich Leonardo da Vinci in seiner Werkstatt aufsuchen wollen, nachdem ich das herrliche Terrakottamodell seines Cavallo, einer gigantischen Reiterstatue von Herzog Francesco Sforza, im Hof des Castello gesehen hatte. Aber Leonardo war
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