Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Gnade und Vergebung für Fra Girolamo gesprochen und mir Zitate aus dem Neuen Testament um die Ohren gehauen – als sei ich Pilatus, der Jesus Christus persönlich ans Kreuz nagelt. Fra Mariano da Genazzano, der Ordensgeneral der Augustiner, hat mich auf Knien angefleht, Italien von diesem gefährlichen Ketzer zu befreien. Und der Botschafter von Florenz hat sich vor mir gewunden wie eine Schlange, als ich ihm mit dem Interdikt drohte, wenn die Signoria den Frater nicht in Ketten nach Rom ausliefert. Aber an meine Vernunft hat noch niemand appelliert«, sagte er, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Ich sage dir: Die Verurteilung von Girolamo Savonarola ist die vernünftigste Entscheidung meines Lebens.«
»Weil er dich in seinen Predigten angegriffen hat?«, fragte ich, enttäuscht über seine Unnachgiebigkeit.
»Nein, Catalina. Nicht deswegen. Ich habe gesagt, dass Rom eine weltoffene Stadt ist und dass jeder reden und schreiben kann, was er will. Dasselbe Recht hat auch Savonarola in Florenz. Er kann mich beschimpfen, wie er will. Ich habe mir seine Tiraden sechs Jahre lang geduldig angehört, und manchmal habe ich mich über ihn und seinen Zorn amüsiert. Er kann mich Antichrist nennen oder Lucifer – es ist mir egal. Er kann über das Bett des Papstes reden, aber nicht über seinen Thron, den Stuhl Petri.«
»Ich werde mit ihm sprechen«, bot ich ihm an. »Er wird auf mich hören. Und widerrufen.«
Rodrigo schüttelte den Kopf, ob über Girolamos Eigensinn oder über meinen Vorschlag, wusste ich nicht. »Ich habe nichts dagegen, wenn sich die Schafe meiner Herde in der Nähe des Gatters herumdrücken, um ein bisschen Freiheit zu atmen, um zu sehen, wie es draußen, außerhalb der Weide, ist. Ich habe auch nichts dagegen, wenn die Schafe hin und wieder einen übermütigen Ausbruch wagen, weil das Gras dort draußen so saftig grün ist und die Blumen verführerisch duften. Ich habe dasselbe getan, als ich jung war. Wie oft mussten mich meine eigenen Hirten, Pius, Sixtus und Innozenz, einfangen und ermahnen. Aber dieses Schaf Savonarola hält sich mittlerweile ständig außerhalb des Gatters auf und ist nicht gewillt, zur Weide zurückzukehren. Nun heulen die hungrigen Wölfe, und du bittest mich, den Hirten, dieses uneinsichtige, stolze, eigensinnige ›verlorene Schaf‹ zurückzuholen.
Nein, das werde ich nicht tun. Und ich werde dir auch sagen, warum: Es war seine Entscheidung, die Weide zu verlassen. Ich habe mit der Exkommunikation das Tor geöffnet, und er ist tapfer hinausgetrabt. Das Tor stand monatelang offen, und er hätte demütig zurückkehren können. Aber er hat sich entschieden, draußen weiterzublöken und nicht auf das Heulen der Wölfe zu hören, die er mit seinem Geschrei angelockt hat.«
Ich schwieg.
»Ich habe meinen Schafen das Blöken nicht verboten. Keinem von ihnen, weder Giuliano della Rovere noch Ascanio Sforza, weder Mariano da Genazzano oder Girolamo Savonarola. Sie haben ihren Hirten kritisiert, haben ihn unfähig genannt, die Herde zusammenzuhalten oder das Gatter instand zu setzen, haben sich über ihn amüsiert, weil er ein Mensch ist. Aber dieses Schaf, Catalina, hat nicht den Hirten Rodrigo Borgia und seine Fähigkeiten zum Hüten der Herde infrage gestellt, sondern die Funktion des Hirten selbst.«
»Und deshalb schickst du deine Domini canes, deine dominikanischen Bluthunde, um das verirrte Schaf zum Schweigen zu bringen«, begehrte ich auf.
»Ich habe keine andere Wahl, Catalina. Jahrelang habe ich ihn predigen lassen, dass es die Pflicht des Gläubigen sei, Gott mehr zu ehren als einen Menschen, auch wenn er wie ich als Sein Stellvertreter handelt. Ich habe seine Diffamierungen geduldig ertragen, weil ich bei mir dachte: Wenn du Papst wärest, Girolamo, würdest du dasselbe tun wie ich. Du würdest andere Worte wählen, um deine Entscheidungen zu rechtfertigen, aber letztlich würdest du genauso entscheiden. Aber du bist nicht Papst, sondern ich, und deshalb hast du das Recht, nicht zu verstehen, was ich tue. Aber Fra Girolamo hat – Verständnis oder nicht – die Pflicht zu gehorchen.« Rodrigos Faust schlug auf das Fenstersims, und die erschreckten Tauben stoben flatternd davon. Er schwieg eine Weile, dann fuhr er fort:
»Ich hatte gehofft, Savonarola würde sich unterwerfen, und wir könnten die ganze Angelegenheit bei einem Becher Chianti in Ruhe besprechen. Wenn er mir auch nur ein kleines Zeichen der Unterwerfung angeboten hätte, wäre ich ihm den ganzen
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