Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Weg bis Florenz entgegengekommen, um endlich Frieden zu schließen. Aber nein! Er leugnet die Rechtsgültigkeit seiner Exkommunikation.« Noch nie hatte ich Rodrigo so wütend gesehen. Er verschränkte die Arme und starrte mich an:
»In den letzten Monaten ist diese disziplinarische Frage zu einer dogmatischen geworden, die ich nicht länger tolerieren kann. Fra Girolamo reklamiert für sich die Autorität des persönlichen Urteils, das unantastbare Recht auf Gewissensfreiheit. An die Gefahr eines erneuten Kirchenschismas scheint er dabei nicht zu denken. Vielleicht aber doch: Will er vielleicht Gegenpapst werden und die Kirche reformieren? Fra Girolamo hat mir mit einem Konzil gedroht und Spanien, Frankreich und England gegen mich aufgehetzt. Aus einem akademischen Streit, wer wen exkommunizieren darf, ist mittlerweile die Gefahr einer gewaltsamen Kirchenspaltung geworden. Das kann ich nicht dulden, Catalina. Ebenso wenig, dass er den französischen König nach Italien zurückruft, um mich abzusetzen.
Italien liegt seit der Invasion von 1494 noch immer schwer verwundet am Boden. Italien leidet unter Pest und Syphilis, unter Hunger, Missernten und Geldentwertung, ganz zu schweigen von zerbrochenen Bündnissen, die seine Stabilität gefährden. Einen zweiten Angriff der Franzosen, wie Fra Girolamo ihn nicht nur prophezeit, sondern geradezu heraufbeschwört, kann Italien nicht überleben.«
Ich senkte den Kopf, um seinem Blick auszuweichen. »König Charles ist tot«, wagte ich zu sagen. »Er starb letzten Monat.«
Rodrigo verbiss sich in seinen Zorn. »Sein Cousin, Herzog Louis von Orléans, wird ihm auf den Thron nachfolgen. Er hat seine Erbansprüche auf Neapel und Mailand bereits angemeldet, weil er weiß, dass ich César mit Carlotta von Aragón verheiraten will, um ihn als Thronerben von Neapel einzusetzen. Ein Krieg mit König Louis um Neapel und Mailand ist unabwendbar. Aber statt Italien gegen diese Bedrohung zu einen, riskiert dieser wahnsinnige Dominikaner eine Kirchenspaltung und damit die Vernichtung des mächtigsten Staates in Italien, des Patrimonium Petri. Er weiß offensichtlich nicht, was er tut.«
»Aber …« Meine Gedanken stolperten über meine Worte. »Aber wenn du ihn zum Märtyrer machst …«
»Ich?«, erregte sich Rodrigo. » Ich mache ihn zum Märtyrer?« Der Papst stürmte zu seinem Schreibtisch zurück und zog, nein: riss ein Pergament aus einem Haufen von Schriftstücken, die zu Boden flatterten. »Lies! Das ist die Mitschrift einer seiner Predigten im Dom von Florenz.«
Ich überflog die Seite. Unverkennbar, das waren Girolamos Tiraden. In meinen Gedanken konnte ich den Donnerhall seiner Stimme hören, als ich seine Worte las: »Der Herr schwingt Seine Waffe, und wenn Er sie gebraucht hat, legt Er sie nicht nieder, sondern wirft sie fort. So war es mit dem Propheten Jeremia: Als Er ihn gebraucht hatte, warf Er ihn fort, auf dass er gesteinigt werde. So wird es auch mit dieser Waffe geschehen. Wenn Er sie geschwungen hat, wird Er sie fortwerfen. Zu Dir wende ich mich, o Herr, Du bist für die Wahrheit gestorben. Und ich flehe Dich an, lass auch mich für die Wahrheit sterben.«
»O mein Gott!«, flüsterte ich, als ich Rodrigo das Pergament zurückgab.
»Ja, das habe ich auch gesagt, als ich das gelesen habe. Er macht sich selbst zum Märtyrer und zwingt mich, ihn zu verurteilen. Er weiß genau, was ihm bevorsteht. Sein Kreuz hat er sich selbst aufgerichtet.«
»Und du richtest ihn, wie Pilatus Jesus Christus gerichtet hat.«
»Ich richte ihn nicht. Das tut die Signoria von Florenz«, entgegnete Rodrigo. »Die Florentiner waren so ungeduldig, diesen Propheten loszuwerden, dass die Signoria nicht einmal Zeit hatte, eine Ermächtigung aus Rom für das Gerichtsverfahren gegen einen Priester einzuholen. Sie haben ihn gefangen gesetzt und gefoltert, ohne mich, den Papst, um Erlaubnis zu bitten. Ich habe sie gewähren lassen, bis sie zu ihrem Urteil kamen …«
»… das mit deinem eigenen übereinstimmte: Tod auf dem Scheiterhaufen«, platzte ich heraus. Ohnmächtige Wut erfüllte mich, weil es mir nicht gelungen war, Rodrigo zu besänftigen und Girolamos Leben zu retten.
»Ich kann und will und werde dieses Urteil nicht mehr revidieren«, erklärte der Papst.
Ich sah ihm in die Augen und nickte, dann erhob ich mich. »Ich bin hierher gekommen, um Gnade für Girolamo zu erbitten. Ich verstehe, dass du nicht anders handeln kannst, Rodrigo. Und ich hoffe auf dein Verständnis, dass
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