Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
und sein Vater, aber er informiert mich nicht einmal über seine Pläne. Er muss die Fragen des spanischen Botschafters im Konsistorium ja auch nicht beantworten«, donnerte Rodrigo. »Er tut einfach, was er will. Und er glaubt, dass ich ihm das durchgehen lasse. Aber da irrt er sich. Ich werde seinen Ungehorsam nicht mehr länger dulden!«
»Cesare ist in Mailand?«, fragte ich bestürzt.
»César war in Mailand, um Louis zu treffen. Und um Herzog Guido durch sein plötzliches Erscheinen derart zu erschrecken, dass er überstürzt nach Venedig geflohen ist. César war zwei Tage später bei Lucrezia in Ferrara. Dann war er in Imola. Wo er jetzt ist, weiß ich nicht«, sagte Rodrigo ungehalten.
Guido ist in Venedig!, dachte ich erleichtert. Er wird den Dogen um Unterstützung gegen Cesare bitten. O Guido, mein Geliebter …
Auch in den folgenden Tagen und Nächten dachte ich oft an Guido, während ich in den Alambic mit der sich windenden Materie starrte oder in Giovannis Notizbuch mit seinen Aufzeichnungen zur letzten Transmutation blätterte.
Obwohl Giovanni die Operationen bis zur Coniunctio in allen Einzelheiten beschrieben hatte, gelang sie mir nicht. Seine Randnotizen, die Zweifel, die Ungewissheit, die trotzige Entschlossenheit, die ihn während seiner letzten Tage gequält hatten, erschreckten mich. Auch ich hatte den Athanor für die letzte Operation angeheizt, bis er glühte. Auch ich starrte auf die Zeichnung, die Giovanni in sein Notizbuch gekritzelt hatte: das Bild von zwei Liebenden, eng umschlungen und in sexueller Ekstase in der Tiefe des Alambic ineinander verschmelzend, um durch die Selbstaufgabe, durch die Liebe etwas Neues zu erschaffen: das Leben.
Was trieb mich dazu, mit Feder und Tinte in Giovannis Notizbuch herumzukritzeln und mit ein paar Federstrichen seine verzückten Gesichtszüge in Guidos seliges Lächeln zu verwandeln? Ich kannte doch die Macht von Liebe und Sehnsucht, die Troja und Alexandria und Urbino zu Fall brachte! Der Verlust der Selbstbeherrschung hatte Giovanni das Leben gekostet …
»Vergib mir, Guido!«, flüsterte ich, als ich seinen Ring vom Finger zog, zwischen die Seiten von Giovannis Notizbuch legte und es schloss, wie ein weiteres Kapitel meines Lebens. »Ich liebe dich, Guido! Aber ich muss dich vergessen, wenn ich leben will!«
Aber so oft ich mich in den folgenden Wochen Tag für Tag mit der Coniunctio herumquälte, so oft ich Nacht für Nacht Guido zu vergessen suchte, es gelang mir nicht. Ich arbeitete bis zur völligen Erschöpfung, vergrub mich in einen Stapel alchemistischer Bücher, schlief nur zwei oder drei Stunden während der Nächte – aber vergeblich! Ich lebte wie ein Asket, wie ein Eremit, um Kräfte zu sammeln für das Opus, und Rodrigo war besorgt, weil ich von Tag zu Tag blasser und stiller wurde.
»Warum gehst du nicht schlafen, Caterina?«, fragte er mich eines Nachts. »Wem nützt es, wenn du im Laboratorium vor körperlicher und geistiger Erschöpfung zusammenbrichst?«
»Ich kann noch lange genug schlafen, wenn ich das Elixier gefunden habe.«
Er ertrug meine zornige Entschlossenheit mit einem ungläubigen, mitleidigen Lächeln, als ich ihm offenbarte: »Ich werde ganz von vorn anfangen!« und damit begann, jedes verfügbare alchemistische Werk zu lesen, auch die Folianten, die ich bereits auswendig kannte. Ich ging nacheinander jeden Weg durch die Transmutationen, irrte durch ein wahres Labyrinth von Philosophie, Theologie und Magie, folgte Irrwegen, kehrte um, verlor die Richtung, begann von vorn, tastete mich Schritt für Schritt durch die Finsternis, um am Ende nirgendwo anzukommen. Ich steckte fest im Labyrinth von zu viel Wissen. Wo war das Licht, das mir meinen Weg erleuchten konnte, das mich aus der Finsternis erlösen konnte?
Mensch, erkenne dich selbst! – Diese uralten, rätselhaften Worte gingen mir nicht mehr aus dem Sinn. Aber was bedeuteten sie? Den Blick in jenen tiefen, düsteren Spiegel, vor dem ich mich so sehr fürchtete, dass ich – wie Lucrezia mir in Bologna vorgeworfen hatte – jeden Menschen, der sich in mir zu spiegeln versuchte, mit Gewalt von mir stieß. Paulus schrieb an die Korinther: »Wir sehen durch einen Spiegel ein dunkles Bild. Ich werde mich erkennen, wie ich erkannt worden bin«. Was würde ich erkennen, wenn ich einen Blick riskierte?
Ich hatte gelernt zu denken, zu handeln, zu kämpfen, zu gewinnen und zu verlieren. Ich hatte gelernt, Verantwortung zu übernehmen, und ich hatte Schuld auf
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