Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
mich geladen. Jahrelang hatte ich mit einem quälenden Mea culpa, mea maxima culpa in meinem Gewissen weitergelebt. Das Fegefeuer der Sühne hatte den Spiegel in mir blind gemacht. Dante Alighieris Vers »Du ewiges Licht ruhst in dir selbst, verstehst, erkennst dich, bist erkannt, verstanden …« ergab für mich keinen Sinn, denn mein Spiegel fing keinen Lichtschimmer mehr auf. In mir selbst war es finster geworden.
Es war kein Wunder, dass die Vereinigung mit Guido gescheitert war. Denn ich musste die Coniunctio von Licht und Schatten erst in mir selbst durchführen! Girolamo hatte sich am Anfang über das selbstbewusste »Ich bin der ich bin« eines in Gott geborgenen Menschenkindes Caterina amüsiert, aus dem in den letzten Jahren ein demütiges »Ich bin die ich bin, die ich schon immer war und immer sein werde« geworden war: ein stilles, resigniertes Martyrium. Es wurde Zeit, dass ich aufhörte, mich selbst zu bestrafen für das, was ich war, und für das, was ich sein konnte, und endlich akzeptierte, wer ich wirklich war: Licht und Schatten.
Der Mensch kann doch immer nur das finden, wonach er sucht: Als ich bei einem jüdischen Alchemisten las, dass das Aurum potabile seinen Namen gar nicht dem lateinischen Wort Aurum – Gold, dem Symbol Ewigen Lebens, verdankte, sondern dem hebräischen Wort ha-Our – Licht, also »trinkbares Licht« bedeutete, wusste ich, was ich zu tun hatte. Und ich war verzweifelt genug, es zu versuchen.
Mit geschlossenen Augen presste ich mein Kinn gegen die kalten Bodenplatten. Die Muskeln in meinen Schultern und Armen schmerzten, als würde ich eine schwere Last tragen. Wie oft hatte ich in der Kirche San Marco demütig so gelegen – in den endlosen Nächten, als ich mit Girolamo um Giovannis Leben betete!
Seit einer halben Ewigkeit lag ich unbeweglich mit weit ausgebreiteten Armen auf dem Boden des Pantheons, auf der im flackernden Kerzenlicht schimmernden Marmorplatte im marmornen Quadrat direkt unterhalb der Kuppelöffnung. Ich war umgeben von einem weiten Kreis von zwölf brennenden Kerzen.
Wie der Mensch aus Leonardos Skizze des menschlichen Proportionsschemas lag ich auf dem Boden des Pantheons: ein menschliches Pentagramm in einem Kreis in einem Quadrat. Das Quadrat ist das Zeichen der Welt, der Materie, des Wissens, der Kreis das Symbol für den Himmel, für Gott, für den Glauben, das Pentagramm der bewusste Mensch, der eingeweihte Adept der Alchemie, zwischen beiden Welten. Der weite Kreis aus zwölf Kerzen umgab ein Sextagramm aus Symbolen, das Sinnbild der alchemistischen Transmutationen. Und wenn man die Kuppel, die sich im Zenit über mir wölbte, im Nadir zu einer Kugel ergänzte, lag ich genau in deren Zentrum, im Mittelpunkt des Universums.
Das Pantheon, das ich mir vor Monaten als Grabmal ausgesucht hatte, war ein würdiger Ort für das, was ich vorhatte!
Leonardo hätte sich wahrscheinlich amüsiert, wenn er mir in dieser finsteren Neumondnacht assistiert hätte. Und selbst wenn er Angst gehabt hätte: Er hätte versucht, mich mit einem Scherz aufzuheitern und aus meiner furchtbaren Stimmung zu reißen. Ja, ich bekenne: Ich hatte eine Höllenangst!
Mein Vorhaben war gefährlich – das wusste ich. Nicht nur die Gefahr einer Entdeckung durch die Inquisition, die mich auf den Scheiterhaufen führen konnte, nicht nur die ernüchternde Erkenntnis, dass mein Sterben nicht mehr aufzuhalten war, beunruhigte mich zutiefst: In den letzten drei Monaten seit meiner Rückkehr nach Rom waren fünf Phiolen Aurum verbraucht worden, dreizehn waren noch übrig. Nur ein einziges der fünf Fläschchen hatte ich getrunken, die Anfälle hatte ich zähneknirschend ertragen. Wovor ich wirklich Angst hatte, war, den Verstand zu verlieren, wenn ich …
Ein fernes Donnergrollen rollte durch die Dunkelheit jenseits des Kerzenscheins. Im ersten Augenblick dachte ich, Satan würde erscheinen, aber ich ließ mich nicht beirren.
Kein Licht ohne Finsternis. Keine Finsternis ohne Licht. Das eine kann das andere nicht besiegen – es kann ohne das andere nicht einmal existieren. Das Böse lässt sich nicht zerstören, ohne das Gute zu vernichten. Liebe und Hass – alles ist eins.
Tief atmete ich ein, spürte den Schmerz in mir, genoss das mystische Gefühl des Einsseins mit – ja, womit? Mit Gott und Satan? Eine Weile lag ich so, dann richtete ich mich mühsam auf, kniete mich auf den Marmorboden, breitete meine Arme wie zum Gebet aus, den Blick zur Kuppelöffnung über mir
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