Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Vorwürfe.
Schon am nächsten Morgen wehte das geflüsterte Wort »Cantarella« durch die Straßen von Rom. Und das Gerücht, dass Rodrigo den Kardinal ermordet hatte, um sich seines Vermögens zu bemächtigen, wirbelte im Vatikan eine Menge Staub auf – und andere Namen: Kardinal Gian Battista Ferrari, der im letzten Sommer an der Malaria gestorben war, Kardinal Juan Lopez, der im Sommer 1501 verschied, Kardinal d’Almeida, Kardinal Zeno … und Kardinal Giovanni Michiel ging es schon seit Wochen nicht gut … Wurde er etwa auch vergiftet?
Das Kanonische Recht untersagte es den Kardinälen, ohne ausdrückliche Genehmigung des Papstes ihr Vermögen per Testament ihrer Familie zu hinterlassen. Ihr gesamter Besitz, bis zum letzten Dukaten, fiel rechtmäßig an die Kirche zurück. Von der korrekten Auslegung des Kanonischen Rechts bis zum Verdacht des Giftmordes war nur ein kleiner Schritt. Und so wurde der Verdacht zum Gerücht und das Gerücht zur Meinung. Der Schritt vom Glauben bis zur beweisbaren Wahrheit des vorsätzlichen Mordes an den Kardinälen war unvermeidlich.
Warum hatte Rodrigo, wenn er wirklich ein Giftmörder war, nie versucht, seine mächtigsten Feinde zu ermorden: Girolamo Savonarola, Ascanio Sforza und Giuliano della Rovere?
Und dann teilte Rodrigo mir eines Abends mit, Cesare würde nach Rom zurückkehren …
Cesares Einzug nach Rom wenige Tage später glich dem Triumphzug eines römischen Feldherrn. Aber kein Sklave flüsterte ihm ins Ohr: »Bedenke, dass du nur ein Mensch bist!«, während er mit seiner prächtigen Eskorte im Licht von hundert Fackeln die Via Alessandrina vom Tiber herauftrabte und die Römer auf beiden Seiten der Straße fröhlich winkten und ihm zujubelten. In den Wochen seit der Ermordung seiner Condottieri in Senigallia hatte er Gian Paolo Baglioni aus Perugia vertrieben und Pandolfo Petrucci aus Siena, hatte er Umbrien und einen Teil der Toskana unterworfen.
Die Kanonen der Engelsburg donnerten ihren Salut für den Bannerträger der Kirche in den eisigen Februarhimmel, und eine weiße Rauchwolke stieg über der Festung auf. Jeder neue Donnerschlag ließ mich zusammenzucken. Das Aurum – und die Anspannung, Cesare gegenüberzutreten – hatte mich in den letzten Wochen sensibel gemacht: Der Lärm fügte mir beinahe körperliche Schmerzen zu.
Ich hielt mich im Schatten hinter den Arkaden von San Pietro verborgen, als Cesare unten auf der Piazza vom Pferd stieg und langsam die Treppe emporschritt, um seinen Vater zu begrüßen, der ihn im vollen Ornat mit seinen Kardinälen erwartete.
Obwohl ich mich auf Cesares Eintreffen im Vatikan vorbereitet hatte, als wollte ich gegen ihn in den Krieg ziehen, war ich unruhig. Ich hatte meinen Cousin, den Condottiere Giulio Orsini, in der Engelsburg besucht, wo er noch immer festgehalten wurde. Wir hatten uns lange unterhalten, waren im Garten und auf dem Dach der Festung spazieren gegangen. Der Kommandant des Castel Sant’Angelo war so freundlich, mich bei meinem nächsten Besuch bei Giulio Orsini mit einem selbstgefälligen Lächeln durch »seine« Engelsburg zu führen – ich bestaunte alles gebührend, vor allem seinen aufgeblasenen Stolz, stellte unglaublich törichte Fragen zu den Befestigungen, die Leonardo und Donato Bramante in die Verzweiflung getrieben hätten, registrierte in Gedanken die Größe und Ausrichtung der Geschütze auf den Festungswällen, berechnete ihre Reichweite und stellte fest, wo der Passetto, der Geheimgang zwischen dem Palazzo Apostolico und der Engelsburg das Castel Sant’Angelo erreichte und wie er gesichert war. Als ich mich vom Kommandanten verabschiedete, funkelten seine Augen wie die Golddukaten in dem großzügig gefüllten Beutel, den ich ihm überreichte: für seine Loyalität.
Ich hatte die Dukaten mit vollen Händen um mich geworfen, um den Kommandanten und einige seiner Offiziere zu bestechen. Außerdem hatte ich damit Cesares Schneider ermuntert, für mich zu arbeiten. An alles hatte ich gedacht, sogar an den Schlüssel zu den geheimen Türen des Passetto, den ich schon seit Tagen immer bei mir trug – aber hatte ich auch an die Wirkung gedacht, die mein Auftritt auf Cesare haben würde?
Tagelang hatte ich darüber nachgedacht, wie ich ihm entgegentreten würde: als die verführerische Caterina de’ Medici, als die stolze Signorina da Montefeltro? Was sollte ich anziehen: ein kostbares Brokatkleid, dessen weiter Rock mein Hinken verdeckte, dessen tiefer Ausschnitt ihm den
Weitere Kostenlose Bücher