Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
nächste Woche.«
Aber ich war gescheitert! Meine Lebenszeit war abgelaufen, und ich hatte das Elixier nicht gefunden. Und zum ich weiß nicht wievielten Mal stellte ich mir die Frage: Sollte ich nach Paris reiten und Nicolas Flamel um eine Phiole Leben bitten, solange mir noch Zeit blieb? Und wieder war die Antwort dieselbe, die Maître Nicolas mir schon in Paris gegeben hatte: »Ihr nehmt nichts an, was nicht aus Euch selbst kommt, was Ihr nicht selbst erschaffen habt – Ihr haltet die Unsterblichkeit in Händen und gebt mir doch das Elixier zurück. Ihr wollt es selbst finden!«
Ja, das wollte ich! Nicht um des Ruhmes willen, denn la gloire immortelle war mir bereits sicher, da Rodrigo mir versprochen hatte, meine umfassenden wissenschaftlichen Aufzeichnungen und meine niedergeschriebenen Meditationen veröffentlichen zu lassen. Ich hatte mich auch schon für einen Titel entschieden: Die Erkenntnis von Kosmos, Logos und Eros. Das Buch sollte noch in diesem Jahr in Rom gedruckt werden. Nach meinem Tod …
Wieder griff ich nach der Feder, um meine Arbeit fortzusetzen. Es war noch so viel zu tun! Der weite Ärmel meines Talars glitt über die Pergamente vor mir auf dem Tisch, blieb an einer Seite hängen. Ein verknicktes Papier fiel zu Boden. Ich hob es auf, entfaltete es: Es war Lorenzos Testament.
Piero hatte es mir im Februar zurückgegeben. Ich hatte es in eines meiner Bücher gelegt und dann vergessen – zu viel war geschehen in den letzten Wochen seit meiner Versöhnung mit Cesare. Ich starrte auf das Pergament, unfähig, mich von Lorenzos Worten zu lösen, die mich zu seiner Tochter machten.
Ich hätte es verbrennen sollen, dachte ich. Am Tag nach Lorenzos Tod, an dem Tag, als ich mich entschieden hatte, es niemals zu benutzen, hätte ich es ins Feuer werfen sollen!
Selbstvergessen faltete ich das Pergament wieder zusammen, erhob mich und ging hinüber zum Athanor. Ich weiß nicht mehr, was ich dachte, oder ob ich überhaupt an irgendetwas dachte, als ich Lorenzos letzte Zeilen an mich in die Flammen warf und zusah, wie sie sich zusammenrollten und verbrannten.
Ich kniete vor dem Athanor und starrte nachdenklich in die Flammen, als Rodrigo das Laboratorium betrat. Unter dem Arm trug er einige Blätter Pergament und in der Hand eine Feder.
»Wie kommst du voran mit dem Chaos ?«, fragte er mit Blick auf das Durcheinander von Pergamenten auf meinem Schreibtisch. »Chaos« – das war seine Bezeichnung für das Buch über Kosmos, Logos und Eros, das ich verfasste. Erst vor zwei Tagen hatte Rodrigo mich damit aufgezogen, dass nicht einmal Albertus Magnus verstanden hätte, was ich da niederschrieb.
»Ich beherrsche Chaos und Kosmos, Rodrigo. Ich denke, ich werde die Genesis heute Nacht beenden und mir morgen einen freien Tag gönnen«, scherzte ich.
Wenn ich nur geahnt hätte, wie sich meine Worte bewahrheiten sollten! Ich würde in dieser Nacht die Genesis vollenden … die sieben Transmutationen, die unvermeidlich ins Unglück führten.
»Was machst du eigentlich um diese Zeit noch im Laboratorium?«, fragte ich ihn müde. »Es ist schon spät …«
»Ich kann nicht schlafen, es ist viel zu heiß.« Rodrigo deutete auf die Pergamente unter seinem Arm. »Das ist die Rede anlässlich der morgigen Feier zum elften Jahrestag meiner Papstkrönung. Ich will sie nochmals überarbeiten. Wenn du gestattest, leiste ich dir ein wenig Gesellschaft. Trotz des Feuers im Athanor ist es hier kühler als in meinem Arbeitszimmer.«
Ich war froh über sein unerwartetes Erscheinen, schob das Chaos meiner Pergamente zur Seite und schaffte auf dem Tisch Platz, damit er seine Rede überarbeiten konnte. Dann setzte er sich mir gegenüber an den Schreibtisch und vertiefte sich in seine Arbeit, las, korrigierte ein paar Worte, strich ganze Absätze. Eine Weile arbeiteten wir schweigend, jeder tief in seinen Gedanken versunken.
Noch während ich über das Analogon der Genesis – sechs Transmutationen in sechs Tagen, dann die Coniunctio der Menschen am achten Tag – nachdachte, um es niederzuschreiben, glitt mein Blick zum Athanor hinüber …
Ich traute meinen Augen nicht!
Das ha-Our in der hermetischen Phiole hatte sich verändert – wie unzählige Male zuvor, als es in der Hitze zu schwarzer Asche verbrannte. Aber dieses Mal …
Fasziniert legte ich die Feder aus der Hand, erhob mich und ging zum Athanor hinüber.
Rodrigo sah auf: »Was ist …?« Dann wanderte sein Blick zur hermetischen Phiole. »O mein Gott!«,
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