Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
sah zu seinem Vater hinüber.
Im selben Augenblick rannte ich mit fliegendem Talar los, vorbei an Cesare, der mich nicht festhalten konnte, da er in der einen Hand seinen Degen und in der anderen Hand die zerbrechliche Phiole hielt, die er nicht fallen lassen durfte.
Ich floh aus dem Laboratorium, gewann kostbare Augenblicke, da Cesare erst die Phiole seinem Vater übergab, um mir dann mit gezücktem Degen hinterherzurennen. Mit flatterndem Talar lief ich den Gang entlang, und zwei Stufen auf einmal nehmend die gewundene Treppe hinunter, die zu Rodrigos Wohnung führte. Hinter mir hörte ich Cesares schwere Schritte auf den Stufen. Ich riss die Tür zur Papstwohnung auf, wobei ich möglichst viel Lärm machte, huschte dann lautlos weiter die Treppe hinunter und betete inständig, Cesare möge glauben, ich sei durch Rodrigos Wohnung geflohen, die einen zweiten Ausgang zum alten Palast von Papst Nikolaus hatte. Von dort hätte ich durch die Loggia in den Geheimgarten entwischen können, der ein Tor zur Piazza San Pietro hatte. Das wäre der kürzeste Fluchtweg gewesen …
Auf der Treppe blieb ich stehen und lauschte. Alles war ruhig – abgesehen von meinem keuchenden Atem. Wahrscheinlich tat Cesare dasselbe: Er lauschte in der Finsternis auf meine Schritte, meinen Atem, das leise Rascheln meines Talars.
Mein Herz raste, und mir war schwindelig. Ich lehnte mich gegen die kühle Wand des Treppenhauses und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Dann eilte ich weiter die Treppe hinunter, die zur Bibliothek hinabführte. Lautlos öffnete ich die Tür und trat in den dunklen Lesesaal. Die Tür am anderen Ende führte durch einen schmalen Geheimgang in die Sixtina. Das war der Weg, den Rodrigo nahm, wenn er in der Kapelle eine Messe las. Ich riss die Tür auf und verschwand im schmalen Korridor, dann lief ich ein paar Stufen hinauf und stand im Altarraum.
Hinter mir blieb alles ruhig. Cesare würde nicht den Fehler machen, mich zu warnen, dass er hinter mir her war. Und so verlor ich keine Zeit und eilte am Altar vorbei zum anderen Ende der Kapelle. Das Tor war unverschlossen. Der Saal dahinter lag in tiefer Dunkelheit. Ich wandte mich nach rechts, in Richtung der Basilika von San Pietro, die nur wenige Schritte entfernt war. Durch diesen Saal ging Rodrigo zum Dom hinüber, wenn er von der Loggia aus seinen Segen spenden wollte. Ich rannte weiter – trotz der Dunkelheit konnte ich die Treppe hinauf zur Loggia erkennen, die Tür rechts führte zum Arkadenhof der alten Basilika. Von dort aus konnte ich zum Bronzetor gelangen – aber das war nachts verschlossen!
Ich rannte quer über den Hof, stolperte auf den unebenen Bodenplatten, rappelte mich auf, eilte weiter, tauchte in den Schatten der Säulengänge, blieb stehen, wartete, versuchte im Innenhof meinen Verfolger zu erkennen, sah nichts, hörte nichts, dann huschte ich in die Basilika, eilte durch das Mittelschiff, vorbei an Michelangelos Pietà, bog nach links in die Kapelle ab, in der vor drei Jahren Alfonso begraben worden war. Dann zog ich meinen Talar aus, wickelte ihn mir um den rechten Arm, kletterte über das Marmorsims von Alfonsos Grab hinauf zum Fenster und schlug es ein und sprang.
Gerade als ich wenige Augenblicke später in die Via Alessandrina einbiegen wollte, um zum Tiber zu gelangen, wurde das Tor neben der Kathedrale geöffnet. Bewaffnete mit hell leuchtenden Fackeln in den Händen stürmten im Galopp über die Piazza San Pietro. Ich verschmolz mit den Schatten in einem Torgang, bis die Reiter vorüber waren. Sie galoppierten zur Engelsburg, und ich folgte ihnen.
Ich war völlig außer Atem, blieb aber nicht stehen, bis ich die Engelsburg passiert und den Fluss überquert hatte. Vor mir hörte ich Hufgetrappel, laute Rufe, sah den Feuerschein der Fackeln in der Via Papalis, die sich vor mir bis zur Piazza Venezia erstreckte. Wussten sie, wohin ich unterwegs war?
Ich hielt inne, lauschte den sich entfernenden Rufen, den aufgeregt wiehernden Pferden, dem Hufgetrappel auf dem Kopfsteinpflaster. Dann ging ich weiter, versuchte meinen keuchenden Atem zu beruhigen – und den stechenden Schmerz in meinem rechten Bein. Ich begann zu humpeln, musste mich an der Hauswand festhalten, um nicht zu stürzen, bog in die unbeleuchtete Via dei Coronari ein und tastete mich Schritt für Schritt in Richtung Pantheon vor.
Wieder Rufe, dieses Mal näher! Fackelschein drang aus der Gasse, die rechts zur Piazza Navona führte. Offenbar hatten meine Verfolger
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