Die Karriere-Bibel
auszeichnen. Schreiber, deren Handschrift senkrecht im Lot steht, gelten wiederum
als besonnene nüchterne Menschen mit wenig Temperament.
Auch der Wortabstand sagt viel über den Autor. Klaffen große Lücken zwischen den Worten, spricht das für geistige Klarheit,
große Übersicht und genügenden Abstand zu Dingen und Menschen. Enge Wortzwischenräume dagegen finden sich oft bei Menschen,
die sehr emotional bis chaotisch sind. Ihnen fehlt die sprichwörtliche Distanz.
Mit den Anfangs- und Endbetonungen schließlich drückt der Schreiber sein Geltungsbedürfnis aus. Wer seine Wörter mit ausladenden
Schnörkeln oder übergroßen Buchstaben beginnt, dokumentiert Stolz, Elan und Einsatzfreude – aber auch den Wunsch nach Größe
und Anerkennung. Sind die Wortanfänge verkümmert, offenbart sich Bescheidenheit, Zurückhaltung, eventuell auch Unsicherheit.
Die Endbetonung wiederum spricht für einen willensstarken Menschen mit Hang zur Opposition. Er besitzt in der Regel wenig
Taktgefühl – ganz im Gegensatz zu Schreibern, deren Wortenden ruhig und klein auslaufen. Sie sind meist gute Diplomaten, aber
auch leicht beeinflussbar. Es hat eben alles zwei Seiten. Wie ein beschriebenes Blatt Papier.
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|228| 5. Juli
Klarsicht – Die Wahrheit ist oft ein Vexierbild
Das Internet ist voller denkwürdiger Geschichten: Eine Mutter fährt mit ihrem Sohn in der U-Bahn. Der Sohn läuft völlig verstört
durch die Bahn, wirkt hyperaktiv, ist aggressiv, belästigt Mitreisende, pöbelt. Die Menschen reagieren immer gereizter, schütteln
den Kopf. Irgendwann fasst sich ein Mann ein Herz und spricht die Mutter an: »Warum lassen Sie zu, dass sich Ihr Kind so danebenbenimmt?
Sehen Sie nicht, dass Sie andere stören?!« Da antwortet die Mutter: »Es tut mir leid. Aber wir kommen aus dem Krankenhaus,
in dem gerade der Vater meines Jungen an den Folgen eines Unfalls gestorben ist. Ich weiß leider überhaupt nicht, wie ich
damit umgehen soll, und ich fürchte, mein Sohn weiß es auch nicht.«
Ein Satz – eine völlig andere Welt. Eben dachten vielleicht auch Sie, es geht in dieser Geschichte um Kinderstube, um Rücksichtslosigkeit
oder die Kritik an einer Laissez-faire-Erziehung. Doch mit der Erklärung der Mutter erscheint alles in einem anderen Licht,
Ihre Perspektive hat sich verschoben.
Die zweite Geschichte handelt von einem Vater, der mit seinem Sohn in die Stadt fährt. Der Sohn bleibt ständig stehen, sieht
sich immer wieder Dinge an. Der Vater hat noch Besorgungen zu erledigen und so treibt er seinen Sohn an, zerrt ihn weiter
und irgendwann platzt es aus ihm heraus: »Was ist denn jetzt schon wieder? Nun komm endlich, wir müssen weiter!« Typisch?
Nehmen wir an, tags zuvor hätte die Schule bei diesem Vater angerufen. Der Schulleiter wäre am Telefon gewesen und hätte gesagt:
»Wir haben heute einige Intelligenztests gemacht. Dabei kam heraus, Ihr Sohn ist hochbegabt. Er ist ein Genie.« Was, glauben
Sie, wäre am Nachmittag passiert? Hätte der Vater wieder gesagt: »Los, du Träumer, wir haben nicht ewig Zeit!« Oder wäre er
auch beim zehnten Mal stehen geblieben und hätte seinen Sohn neugierig gefragt: »Worüber denkst du gerade nach? Was siehst
du?«
Unser Verhalten ist das Ergebnis, wie wir die Dinge sehen. Die Welt ist wie ein Vexierbild – und je nach Betrachtungsweise
sehen wir einen Kelch oder zwei Gesichter. Es ist unmöglich, die Welt zu sehen, wie sie wirklich ist. Aber wir können entscheiden,
ob wir die Dinge hinterfragen. Weniger pathetisch ausgedrückt: Wenn Sie ein |229| Problem haben, ist Ihr Problem vielleicht, dass Sie es als Problem betrachten. Es könnte auch eine Chance sein. Wie heißt
es so schön: Wenn das Leben dir Zitronen schenkt – mach Limonade draus!
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6. Juli
Spiel’s noch einmal! – Warum Rituale Karrieren beflügeln
Rituale bewahren vor der Mühsal der Entscheidung, weshalb ihnen der Ruch des Überdrusses anhaftet. Nur stetiger Wandel weht
frischen Wind in unser Bewusstsein: bloß nichts wiederholen, bloß nicht träge werden! Routinen gelten als die Inkarnation
des Stupiden. Sie sorgen für Langeweile, hemmen Innovationen und zementieren den Status quo. Wer dagegen Risiken eingeht,
aus Schablonen ausbricht, gilt als Held der Arbeit. Das ist nicht falsch, aber leider auch sehr schwarzweiß. Routinen haben
durchaus Vorzüge.
Wir leben in einer komplexen Welt im Wandel. So müssen wir ständig umlernen,
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