Die Kartause von Parma
bringe? Oder wollen Sie, daß ich Sie nach Ferrara begleite?«
»Mich nach Ferrara begleiten, das ist ein Dienst, um den ich dich kaum zu bitten gewagt hätte. Wir müssen vor der Stadt landen und hineinzukommen suchen, ohne den Paß zu zeigen. Ich gestehe dir, ich habe den größten Widerwillen dagegen, unter Gilettis Namen zu reisen, und nur du könntest mir einen anderen Paß kaufen.«
»Warum haben Sie das nicht in Casalmaggiore gesagt? Ich kenne da einen Spitzel, der mir einen vorzüglichen Paß verkauft hätte, und nicht zu teuer, für vierzig oder fünfzig Franken.«
Einer der beiden Schiffer, der vom rechten Po-Ufer gebürtig war und deshalb keinen Auslandspaß zur Reise nach Parma nötig hatte, übernahm die Bestellung der Briefe. Ludovico, der zu rudern verstand, machte sich mit dem anderen daran.
»Weiter stromab«, sagte er, »werden wir auf mehrere Kähne mit bewaffneten Zöllnern stoßen, aber ich werde ihnen schon ausweichen.«
Mehr als zehnmal war man genötigt, sich hinter kleinen Inseln mit Wasserblumen und Weidengestrüpp zu verstecken. Dreimal wurde ausgestiegen, um den Kahn leer an den Wachtbooten dahintreiben zu lassen. Ludovico benutzte diese langen Ruhepausen, um Fabrizzio etliche seiner Sonette vorzutragen. Sie waren leidlich wahr empfunden, aber überschwenglich im Ausdruck und des Aufschreibens nicht wert. Merkwürdig war es, daß dieser ehemalige Kutscher Leidenschaften und lebhafte Künstleraugen hatte. Nur was er zu Papier brachte, war kalt und gewöhnlich. ›Das ist der Gegensatz zu dem, was wir in der Gesellschaft sehen‹, sagte sich Fabrizzio. ›Man versteht jetzt, alles geschliffen auszudrücken, aber die Herzen haben nichts zu sagen.‹ Er begriff, daß er diesem treuen Diener kein größeres Vertrauen bereiten konnte, als ihm die Schnitzer in seinen Sonetten zu verbessern.
»Man lacht über mich, wenn ich mein Heft ausleihe,« sagte Ludovico, »aber wenn Eccellenza geruhten, mir die richtige Schreibweise meiner Worte Buchstaben für Buchstaben zu diktieren, könnten die Neider nichts mehr sagen. Die Rechtschreibung macht das Genie nicht aus!«
Erst in der übernächsten Nacht konnte Fabrizzio mit voller Sicherheit an einem Erlengebüsch ans Land gehen, eine Meile vor Ponte Lag'oscuro. Den ganzen Tag über hielt er sich in einem Hanffeld verborgen. Inzwischen ging Ludovico nach Ferrara voraus und mietete dort eine kleine Wohnung bei einem armen Juden, der auf der Stelle erfaßte, daß es Geld zu verdienen gäbe, wenn er zu schweigen verstünde.
Gegen Abend, als die Sonne sank, ritt Fabrizzio auf einem kleinen Pferd in Ferrara ein. Er hatte diese Erleichterung sehr nötig; die Hitze auf dem Strom hatte ihn arg mitgenommen. Die Messerwunde im Schenkel und die Wunde an der Schulter, die ihm Giletti zu Anfang des Kampfes mit dem Degen beigebracht hatte, waren entzündet, und Fabrizzio hatte Fieber.
Zwölftes Kapitel
Der jüdische Hauswirt hatte einen verschwiegenen Wundarzt holen lassen, der ebenfalls erkannte, daß hier Geld zu verdienen war. Er sagte zu Ludovico, sein Gewissen verpflichte ihn, der Polizei von der Verwundung des jungen Mannes, den Ludovico für seinen Bruder ausgab, Anzeige zu machen.
»Die Vorschriften verlangen es«, fügte er hinzu. »Augenscheinlich hat sich Ihr Bruder nicht selber verletzt, wie er erzählt, beim Sturz von einer Leiter, gerade als er ein blankes Messer in der Hand hielt.«
Ludovico entgegnete diesem Ehrenmann von einem Arzt gelassen, wenn dieser sich einfallen ließe, seinem Gewissen zu gehorchen, würde er vor seinem Weggang von Ferrara die Ehre haben, mit einem blanken Messer in der Hand ausgerechnet auf ihn zu fallen.
Als er Fabrizzio von diesem Vorgang berichtete, tadelte dieser ihn sehr, aber es war zur Flucht kein Augenblick mehr zu verlieren. Ludovico sagte zu dem Juden, er wolle versuchen, seinen Bruder an die frische Luft zu führen. Er holte einen Wagen, und unsere Freunde verließen das Haus auf Nimmerwiederkehr.
Zweifellos findet der Leser die Erzählung aller dieser Maßregeln, die das Fehlen des Passes notwendig machte, recht weitschweifig. Eine derartige Überwachung gibt es in Frankreich nicht mehr; aber in Italien, zumal in der Po-Gegend, dreht sich alles um den Paß.
Als sie ohne Zwischenfall aus Ferrara hinaus waren, schickte Ludovico den Wagen zurück, als ob sie einen Spaziergang machen wollten; dann ging er durch ein anderes Tor allein wieder in die Stadt und holte Fabrizzio mit einer Kutsche ab, die er auf
Weitere Kostenlose Bücher