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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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zwölf Meilen gemietet hatte.
    In der Nähe von Bologna ließen sich unsere Freunde querfeldein nach der großen Straße fahren, die von Bologna nach Florenz führt. Sie verbrachten die Nacht in der elendesten Herberge, die sie entdecken konnten. Da sich Fabrizzio am anderen Morgen kräftig genug fühlte, ein Stück zu laufen, betraten sie Bologna wie Spaziergänger. Gilettis Paß war verbrannt worden. Der Tod des Komödianten mußte bekannt geworden sein, und so war weniger Gefahr dabei, ohne Paß festgenommen zu werden, als mit dem Paß des Getöteten.
    In Bologna kannte Ludovico zwei oder drei Diener in herrschaftlichen Häusern. Es wurde verabredet, er solle ihnen ein Märchen aufbinden. Er erzählte ihnen, er käme aus Florenz und sei mit seinem jüngeren Bruder gewandert. Jener sei ermüdet zurückgeblieben, während er allein weitergegangen wäre, eine Stunde vor Sonnenaufgang. In der Stadt hätten sie sich wieder treffen wollen. Als der Bruder aber nicht nachkam, sei er, Ludovico, umgekehrt und habe den anderen am Wege gefunden, verwundet durch einen Steinwurf und etliche Messerstiche, überdies ausgeplündert. Dieser Bruder sei ein hübscher Bursche, der reiten und fahren, schreiben und lesen könne; er suche eine Stellung in einem guten Hause. Falls sich die Gelegenheit böte, wollte Ludovico hinzufügen, die Räuber hätten dem am Boden Liegenden den Reisesack mit seiner Wäsche und seinen Paß abgenommen.
    Bei seiner Ankunft in Bologna fühlte sich Fabrizzio sehr ermüdet. Aber da er sich ohne Paß in kein Wirtshaus wagte, so trat er in die riesenhafte Kirche von San Petronio ein. Drinnen herrschte eine köstliche Kühle; bald fühlte er sich wieder ganz frisch.
    ›Wie undankbar ich bin!‹ fiel ihm plötzlich ein. ›Ich gehe in eine Kirche, und zwar um mich auszuruhen wie in einem Kaffeehaus!‹
    Er warf sich auf die Kniee und dankte Gott inbrünstig für den sichtlichen Schutz, den er ihm habe angedeihen lassen, seit er das Unglück gehabt, Giletti zu töten. Noch in der Erinnerung schauderte ihn vor der überstandenen Gefahr bei den Polizisten von Casalmaggiore. ›Warum hat der Beamte,‹ sagte er sich, ›dessen Blicke mich so argwöhnisch musterten und der meinen Paß wohl dreimal durchgelesen hat, nicht bemerkt, daß ich nicht fünf Fuß zehn Zoll groß bin, daß ich keine achtunddreißig Jahre alt bin, daß ich keine Blatternarben habe? Wieviel Dank schulde ich dir, du mein Gott! Und ich vermochte bis zu diesem Augenblick zu zögern, dir mein Nichts zu Füßen zu legen! Mein Stolz wollte mich zu dem Wahn verleiten, nichtige irdische Vorsicht sei es gewesen, der ich das Glück verdanke, dem Spielberg entronnen zu sein, der sich schon öffnete, mich zu verschlingen.‹
    Mehr als eine Stunde verbrachte Fabrizzio in dieser äußerst gerührten Stimmung über die ewige Güte Gottes. Ludovico näherte sich Fabrizzio, der sein Wiederkommen nicht hörte, und blieb vor ihm stehen. Fabrizzio, der die Stirn mit seinen Händen bedeckt hatte, blickte auf, und sein treuer Begleiter sah die Tränen, die von seinen Wangen rannen.
    »Kommen Sie in einer Stunde wieder!« sagte Fabrizzio ziemlich barsch zu ihm.
    Ludovico verzieh ihm diesen Ton aus Frömmigkeit. Fabrizzio sagte mehrere Male die sieben Bußpsalmen her, die er auswendig wußte; lange verweilte er bei den Versen, die zu seiner gegenwärtigen Lage in Beziehung standen.
    Er bat Gott für vielerlei um Vergebung, aber sonderbarerweise kam ihm nicht in den Sinn, unter seine Sünden auch seine Absicht zu rechnen, Erzbischof lediglich deshalb werden zu wollen, weil der Graf Mosca Premierministerwar und diese Stelle und die damit verknüpfte hohe Würde für den Neffen der Duchezza passend fand. Er hatte leidenschaftslos danach gestrebt, das ist wahr, aber doch daran gedacht wie an eine Minister- oder Generalsstelle. Nie war ihm der Gedanke gekommen, daß sein Gewissen durch diesen Plan der Duchezza mit betroffen werde. Das ist ein bemerkenswerter Zug der Religionsauffassung, die er der Erziehung bei den Jesuiten in Mailand verdankte. Ihre Lehre unterdrückt den Mut, über ungewöhnliche Dinge nachzudenken, und verbietet ganz besonders die Selbstbetrachtung als die gröblichste aller Sünden, als eine Neigung zum Protestantismus. Um seine Schuld zu erfahren, muß man seinen Beichtvater befragen oder das Sündenverzeichnis nachlesen, so wie es in den Büchern mit dem Titel ›Vorbereitung zum Sakrament der Buße‹ gedruckt steht. Fabrizzio wußte das in

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