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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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lateinischer Sprache abgefaßte Sündenverzeichnis auswendig, das er auf der geistlichen Akademie in Neapel gelernt hatte. Indem er also dieses Verzeichnis durchging und an den Punkt vom Töten kam, klagte er sich vor Gott allerdings an, einen Menschen getötet zu haben, aber es war ja aus Notwehr geschehen. Rasch und ohne jede Aufmerksamkeit ging er über die verschiedenen die Simonie betreffenden Punkte hinweg. Darunter versteht man, sich geistliche Würden für Geld zu verschaffen. Hätte man ihm vorgeschlagen, hundert Louis zu zahlen, um Erster Großvikar des Erzbischofs von Parma zu werden, so hätte er solches Ansinnen mit Abscheu von sich gewiesen. Obgleich es ihm nicht an Geist gebrach noch gar an Logik, war es ihm dennoch kein einziges Mal in den Sinn gekommen, daß die zu seinen Gunsten verwendete Macht des Grafen Mosca Simonie sei. Es ist der Triumph der jesuitischen Erziehung, sich gewohnheitsmäßig über Dinge hinwegzusetzen, die klarer sind als das Sonnenlicht. Ein Franzose, der im Pariser Dunstkreis der Eigenliebe und der Ironie erzogen ist, hätte, ohne ungerecht zu sein, Fabrizzio der Heuchelei gerade in demAugenblick bezichtigen können, da unser Held seine Seele mit der größten Aufrichtigkeit und der tiefsten Ergriffenheit vor Gott auftat.
    Ehe Fabrizzio die Kirche verließ, bereitete er sich auf die Beichte vor, zu der er am nächsten Tage zu gehen sich vornahm. Er fand Ludovico auf den Stufen der großen steinernen Säulenhalle sitzen, die sich über dem großen Platz vor der Fassade von San Petronio erhebt. Wie nach einem Gewittersturm die Luft reiner ist, so war Fabrizzios Seele ruhig, glücklich und wie aufgefrischt.
    »Ich fühle mich sehr wohl; ich spüre meine Wunden fast nicht mehr;« redete er Ludovico an, »aber zunächst muß ich dich um Verzeihung bitten. Ich habe dir unwirsch geantwortet, als du in der Kirche mit mir reden wolltest. Ich hielt gerade Zwiesprache mit mir. – Nun, wie steht es mit unserer Sache?«
    »Vortrefflich steht sie. Ich habe eine Wohnung, die allerdings Eurer Exzellenz nicht ganz würdig ist, bei der Frau eines meiner Freunde gemietet. Ein bildhübsches Weib, überdies in engen Beziehungen zu einem der ersten Polizeibeamten. Morgen werde ich melden, wie uns unsere Pässe gestohlen worden sind. Dieses Märchen wird gefällige Ohren finden, aber ich werde das Porto für den Brief bezahlen, den die Polizei nach Casalmaggiore schreiben wird, um festzustellen, ob es in jener Gemeinde einen gewissen Ludovico San Micheli gebe und ob er einen Bruder namens Fabrizzio habe, der im Dienst der Frau Duchezza Sanseverina in Parma stehe. Die Sache ist gemacht. Wir sind gerettet!«
    Fabrizzio nahm plötzlich eine sehr ernste Miene an. Er bat Ludovico, einen Augenblick zu warten, ging abermals, beinahe eilig, in die Kirche und sank, kaum drinnen, wiederum in die Kniee. Demütig küßte er die Steinfliesen.
    »Herr, das ist ein Wunder!« rief er aus, Tränen in den Augen. »Da du meine Seele bereit sahst, zu ihrer Pflicht zurückzukehren, hast du mich gerettet. Großer Gott, esist möglich, daß ich bei irgendwelcher Gelegenheit getötet werde: gedenke in meiner Todesstunde des Zustandes, in dem sich meine Seele in diesem Augenblick befindet!«
    Voll innigster Freude sagte Fabrizzio nochmals die sieben Bußpsalmen her. Ehe er hinausging, trat er an eine alte Frau heran, die unter einem großen Madonnenbilde saß, neben einem eisernen Triangel auf einem Gestell aus gleichem Metall. Auf dem Rande hatte der Triangel eine Menge kleine Stacheln, um die Kerzen festzuhalten, die fromme Gläubige vor der berühmten Madonna von Cimabue anzündeten. Nur sieben Kerzen brannten, als Fabrizzio herantrat. Er prägte diesen Umstand seinem Gedächtnis ein in der Absicht, später mit Muße darüber nachzudenken.
    »Was kosten die Lichte?« fragte er die Frau.
    »Zwei Bajokkos das Stück.«
    Sie waren tatsächlich nicht stärker als ein Federkiel und keinen Fuß lang.
    »Wieviel Lichte kann man noch auf Eueren Triangel stecken?«
    »Dreiundsechzig, weil schon sieben daraufbrennen.«
    ›Aha,‹ sagte sich Fabrizzio, ›dreiundsechzig und sieben macht siebzig. Das muß ich mir ebenfalls merken.‹
    Er bezahlte die Kerzen, steckte sie auf und brannte die ersten sieben selber an, dann kniete er nieder, um zu beten. Als er wieder aufstand, meinte er zu der Alten: »Das ist für empfangene Gnade!«
    Als er wieder zu Ludovico trat, sagte er: »Ich sterbe vor Hunger.«
    »In eine Kneipe können wir

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