Die Kartause von Parma
man sich immer wieder, die Duchezza habe unter ihre Bauern tausend Zechinen verteilen lassen. Damit erklärte man den etwas rauhen Empfang, der etlichen dreißig Gendarmen zuteil geworden war, die dummerweise die Polizei sechsunddreißig Stunden nach dem herrlichen Abendfest und dem darauffolgenden allgemeinen Rausch nach dem kleinen Dorf entsandt hatte. Die Gendarmen waren mit Steinwürfen empfangen worden und hatten die Flucht ergriffen; zwei von ihnen waren vom Pferde gerissen und in den Po geworfen worden.
Der Bruch des großen Wasserbehälters im Palazzo Sanseverina war fast unbeachtet geblieben. Während der Nacht waren einige Straßen mehr oder weniger überschwemmt worden; am anderen Tage meinte man, es habe geregnet. Ludovico hatte aus Vorsicht die Scheiben eines Fensters im Palast zerschlagen, so daß man auf Einbrecher schließen konnte. Man fand sogar eine kleine Leiter. Nur Graf Mosca durchschaute den Streich seiner Freundin.
Fabrizzio war fest entschlossen, sobald er konnte, nach Parma zurückzukehren. Er sandte Ludovico mit einem langen Brief an den Erzbischof, und der treue Diener gab dafür auf der Post des ersten piemontesischen Dorfes, in Sannazaro, westlich von Pavia, eine lateinische Epistel auf, die der ehrwürdige Prälat seinem jungen Schützling widmete. Wir müssen hier eine Einzelheit hinzufügen, die zweifellos wie so manche andere in Ländern, wo man keine Vorsichtsmaßregeln mehr braucht, weitschweifigerscheinen wird: Der Name Fabrizzio del Dongo ward niemals genannt; alle Briefe, die für ihn bestimmt waren, waren an Ludovico San Micheli nach Locarno in der Schweiz oder nach Belgirate in Piemont gerichtet. Die Umschläge waren aus grobem Papier, das Siegel unordentlich aufgedrückt, die Anschrift kaum leserlich und bisweilen mit Empfehlungsfloskeln geziert, die einer Köchin würdig waren. Alle diese Briefe waren aus Neapel datiert und alle um sechs Tage früher.
Aus dem Piemonteser Dorfe Sannazaro kehrte Ludovico schleunigst nach Parma zurück. Er hatte einen Auftrag erhalten, dem Fabrizzio die größte Bedeutung beimaß; es handelte sich um nichts Geringeres, als Clelia Conti ein seidenes Taschentuch zu überbringen, auf das ein Sonett von Petrarca gedruckt war. Allerdings war in diesem Gedicht ein Wort verändert. Clelia fand es auf ihrem Tisch, zwei Tage nachdem sie den Dank des Marchese Crescenzi entgegengenommen hatte, der sich den Glücklichsten der Männer pries. Es ist unnötig, den Eindruck zu schildern, den Fabrizzios immer gleiches Gedenken in Clelias Herzen hervorrief.
Ludovico sollte sich alle möglichen Einzelheiten über die Vorkommnisse in der Zitadelle zu verschaffen suchen. So erfuhr Fabrizzio durch ihn die betrübliche Nachricht, daß die Heirat des Marchese Crescenzi nun als beschlossene Sache galt. Es verging fast kein Tag, an dem dieser nicht Clelia zu Ehren in der Zitadelle ein Fest gab. Ein entscheidender Beweis für den Heiratsbeschluß war es, daß der Marchese, der unermeßlich reich und infolgedessen sehr geizig war, wie es unter den begüterten Leuten Oberitaliens Brauch ist, riesige Vorbereitungen traf, obwohl er ein Mädchen »ohne Mitgift« heiratete. Allerdings hatte der General Fabio Conti, tief verletzt in seiner Eitelkeit durch die Glossen der Gesellschaft darüber, die den Gemütern keine Ruhe ließen, ein Landgut im Werte von mehr als dreihunderttausend Franken gekauft und bar bezahlt, er, der nichts besaß, offenbar von Gelderndes Marchesen. Der General erklärte, dieses Gut gäbe er seiner Tochter mit in die Ehe.
Der Marchese seinerseits ließ in Lyon prächtige Tapeten nach farbigen Entwürfen des berühmten Bologneser Malers Palagi anfertigen, die durch die glückliche Zusammenstellung ihrer Farben eine wahre Augenweide waren.
Jede dieser Tapeten stellte eine Waffentat der Familie Crescenzi dar, die, wie alle Welt weiß, von dem berühmten Crescentius [Der Verteidiger der Engelsburg gegen Kaiser Otto III. im Jahre 999. Stendhal hegt eine Vorliebe für Crescentius; in seinen ›Wanderungen in Rom‹ rühmt er ihn als Girondisten und vergleicht ihn mit Brutus und dem Marquis Posa.] abstammen soll, der im Jahre 985 Konsul in Rom war. Damit sollten die siebzehn Säle geschmückt werden, die das Erdgeschoß des Palazzos Crescenzi bildeten. Die Tapeten, die Uhren, die Kronleuchter, von auswärts bezogen, kosteten mehr als dreihundertfünfzigtausend Franken. Der Preis der neuen Spiegel, die zu den bereits im Palast vorhandenen kamen, betrug etwa
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