Die Kartause von Parma
vollendete.
»Es fehlte nur noch,« sagte sie verletzt, »daß du das Porträt des liebenswürdigen Kommandanten, der dich nur vergiften wollte, aus dem Gedächtnis malst. Aber da fällt mir ein, du mußt ihm einen Entschuldigungsbrief schreiben, daß du dir die Freiheit genommen hast, dich zu retten und seine Zitadelle zum Gespött zu machen.«
Die arme Frau ahnte nicht, wie wahr sie gesprochen hatte. Fabrizzio war kaum in Sicherheit, als er es sich angelegen sein ließ, an den General Fabio Conti einen äußerst höflichen und in gewisser Hinsicht recht lächerlichen Brief zu schreiben; er bat ihn um Verzeihung, daß er sich gerettet habe, und führte als Entschuldigung an, er habe fürchten müssen, daß ein gewisser Unterbeamter des Gefängnisses den Auftrag gehabt habe, ihm Gift beizubringen. Was er schrieb, war ihm gleichgültig; er hoffte, Clelia werde seinen Brief zu sehen bekommen, und sein Antlitz war beim Schreiben voller Tränen. Er schloß den Brief mit einem sehr spaßigen Satz; er wagte zu sagen: seit er sich in Freiheit befinde, wandle ihn oft Sehnsucht nach seiner kleinen Zelle in der Torre Farnese an. Das war der Leitgedanke seines Briefes; er hoffte, Clelia werde es verstehen. In seiner Schreiblust und immer in der Hoffnung, von einem gewissen Jemand gelesen zu werden, richtete Fabrizzio auch ein Dankschreiben an Don Cesare, den gutmütigen Almosenier, der ihm theologischeBücher geliehen hatte. Ein paar Tage später veranlaßte Fabrizzio den kleinen Buchhändler in Locarno, nach Mailand zu reisen, um bei dem berühmten Bibliophilen Reina [der Bibliophile Reina: Francesco Reina (1772-1826), in der Gegend von Como geboren, Advokat, Bonapartist, von den Österreichern zeitweise eingesperrt, lebte zumeist in Mailand, wo ihn Beyle persönlich kennen gelernt hat. Er entsagte um 1810 der Politik und seinen Ämtern und widmete sich nur noch seinen wissenschaftlichen Studien. Herausgeber gut kommentierter Bücher.] die prächtigsten Ausgaben von den Büchern zu kaufen, die ihm Don Cesare geliehen hatte. Der treffliche Almosenier erhielt diese Bücher nebst einem schönen Brief, worin Fabrizzio ihm schrieb, er habe in ungeduldigen Stunden, die bei einem armen Gefangenen wohl verzeihlich wären, die Ränder seiner Bücher mit lächerlichen Vermerken vollgekritzelt. Dafür bäte er gehorsamst, sie in seiner Bibliothek durch die Bände zu ersetzen, die er ihm in aufrichtigster Dankbarkeit zu überreichen sich erlaube.
Fabrizzio tat wohl daran, die endlosen Kritzeleien, mit denen er besonders einen Folioband der Werke des heiligen Hieronymus vollgeschrieben hatte, mit dem schlichten Wort ›Notizen‹ zu benennen. In der Hoffnung, er könne dem guten Almosenier das Buch durch ein anderes Exemplar ersetzen, hatte er Tag um Tag auf den Rändern ein genaues Tagebuch über alles geführt, was ihm im Gefängnis begegnet war. Die Hauptereignisse waren nichts anders als Verzückungen himmlischer Liebe, wobei das Wort himmlisch ein anderes Wort bedeutete, das er nicht hinzuschreiben wagte. Bald hatte diese himmlische Liebe den Gefangenen in die tiefste Verzweiflung versetzt; bald hatte ihm eine Stimme aus der Höhe Hoffnung zugesprochen und ihm überschwengliche Wonne bereitet. Zum Glück war das alles mit einer blassen, aus Wein, Schokolade und Ruß hergestellten Gefängnistinte geschrieben, und Don Cesare hatte kaum einen flüchtigen Blick hineingeworfen, als er den Band des heiligen Hieronymus wieder in seinen Bücherschrank stellte. Wenn er sich die Ränder genauer angesehen hätte, so hätte er gelesen, daß der Gefangene einmal, als er sich vergiftet glaubte, sich beglückwünschte, keine vierzig Schritte weit von dem sterben zu dürfen, was er am meisten auf der Welt liebte. Allerdings hatten nach der Fluchtandere Augen als die des guten Almoseniers diese Seite gelesen. Neben jenem schönen Gedanken: ›Sterben dem nah, was man liebt!‹, der in hundert Abwandlungen immer wiederkehrte, stand folgendes Sonett:
Was war mein Leben – dreiundzwanzig Jahr?
Ein Traum, ein Spiel, ein Jagen nach Schimären.
Da sank mein Stern: ich mußte in mich kehren;
Mich rettete ein süßes Augenpaar.
Ich starb. Ein armer Sünder, dem in Gnaden
Eröffnet ward des Paradieses Tor,
Geführt vom Cherub, walle ich empor
Zu den ersehnten göttlichen Gestaden.
Schon sind wir nah. Mir schwand die irdsche Welt;
Nur eines weiß ich noch von meinem Leben,
Und dieses eine meine Schritte hält.
Gib deine Flügel mir! Ich muß
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