Die Kartause von Parma
Duchezza der Versuchung, ihrem angebeteten Neffen einen schlimmen Streich zu spielen, nicht widerstehen können. Der Graf schrieb ihr fast täglich; offenbar ließ er die Briefe durch Eilboten bestellen, wie in der ersten Zeit ihrer Liebesbeziehungen, denn sie trugen immer den Poststempel irgendeines kleinen Schweizer Ortes. Der arme Mann marterte seinen Verstand ab, um seine Zärtlichkeit nicht allzu offen sprechen zu lassen und witzige Briefe zustande zu bringen. Flüchtig flogen zerstreute Blicke darüber. Ach, was ist einem die Treue eines braven Liebhabers, wenn einem die Kälte eines anderen, den man lieber hat, das Herz verwundet?
Im Laufe von zwei Monaten antwortete ihm die Duchezza nur einmal, und zwar, um ihn zu ersuchen, in der Umgebung der Fürstin ausfindig zu machen, ob sie ungeachtet der frechen Festbeleuchtung einen Brief der Duchezza huldvoll aufnähme. Der Brief, den er überreichen sollte, falls er es für angängig erachte, enthielt die Bitte um eine vor kurzem im Hofstaat Ihrer Hoheit frei gewordene Kammerherrnstelle für den Marchese Crescenzi. Die Duchezza bat, sie ihm gelegentlich seiner Vermählung zu übertragen. Dieser Brief war ein Meisterstück; er drückte die zärtlichste Verehrung in den schönsten Wendungen aus. In seinem höfischen Stile konnte man nicht das geringste Wörtchen finden, das selbst in seiner weitesten Auslegung der Fürstin nicht schmeicheln mußte. Und soatmete auch die Antwort zärtliche Freundschaft, die unter Trennung leidet. Die Fürstin schrieb wie folgt:
›Mein Sohn und ich haben seit Ihrer so plötzlichen Abreise nicht einen erträglichen Abend verlebt. Meine liebe Duchezza erinnert sich doch wohl, daß sie es war, die mir bei der Wahl meiner Hofchargen mit ihrem Rat zur Seite gestanden hat? Deshalb wohl hält sie sich für verpflichtet, mir die Ernennung des Marchese zu begründen, als ob ihr bloßer Wunsch für mich nicht schon Grund genug wäre? Der Marchese soll die Stelle bekommen, soweit es an mir liegt, und stets wird ein Platz in meinem Herzen, und zwar der beste, meiner liebenswürdigen Herzogin gehören. Mein Sohn schließt sich meinen Worten völlig an, wiewohl sie aus dem Munde eines großen einundzwanzigjährigen Jungen etwas gewagt klingen. Er bittet um eine Mustersendung von Mineralien aus dem Ortatal bei Belgirate. Sie können Ihre Briefe, die hoffentlich häufig eintreffen, an die Adresse des Grafen Mosca schicken, der Ihnen immer noch grollt und den ich gerade wegen dieser Empfindung schätze. Auch der Erzbischof ist Ihnen treu geblieben. Wir alle hoffen, Sie eines Tages wiederzusehen. Denken Sie daran, daß es nötig ist. Die Marchesa Ghisleri, meine Oberhofmeisterin, wird diese Welt bald mit einer besseren vertauschen. Die Ärmste hat mir viel zuleide getan; sie ärgert mich noch, indem sie mir zu ungelegener Zeit stirbt. Ihre Krankheit hat mich oft an jemanden denken lassen, dessen Namen ich gern an Stelle des ihrigen setzte, wenn ich je erreichen könnte, daß diese einzige Frau ihre Unabhängigkeit opferte. Indem sie uns verließ, hat sie alle Freude meines kleinen Hofes mit fortgenommen ...‹ und so weiter.
So sah die Duchezza denn Fabrizzio täglich mit dem Bewußtsein, alles versucht zu haben, was in ihren Kräften stand, um die Heirat, über die Fabrizzio in Verzweiflung geriet, zu beschleunigen. Bisweilen verbrachten sie vier oder fünf Stunden mit Kahnfahrten, ohne daß ein Wortzwischen ihnen fiel. Fabrizzio war zwar äußerst artig, aber er dachte an andere Dinge, und seine schlichte und ehrliche Seele gab ihm keinen Gesprächsstoff ein. Die Duchezza merkte das, und das war ihre Qual.
Wir haben an geeigneter Stelle Zu erzählen vergessen, daß die Duchezza in Belgirate, einem reizenden Ort, der seinem Namen (Bel-girate heißt schöne Biegung, nämlich des Sees) alle Ehre macht, ein Haus gemietet hatte. Von der Glastür ihres Zimmers konnte die Duchezza unmittelbar in ihre Barke steigen. Sie hatte eine ganz gewöhnliche gemietet, für die vier Ruderknechte genügt hätten. Sie nahm deren zwölf in ihre Dienste, und zwar richtete sie es so ein, daß sie aus jedem Dorfe um Belgirate einen hatte. Als sie das dritte oder vierte Mal mit diesen bedachtsam ausgewählten Männern mitten auf dem See war, befahl sie, das Rudern einzustellen.
»Ich betrachte euch alle als meine Freunde«, sagte sie zu ihnen, »und will euch ein Geheimnis anvertrauen. Mein Neffe Fabrizzio ist aus dem Gefängnis entflohen. Vielleicht wird man versuchen,
Weitere Kostenlose Bücher