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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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bis vierhunderttausend Lire Jahreseinkommen hat, stiehlt hier alle Welt. Und wie soll man nicht stehlen in einem Lande, wo die Dankbarkeit für die größten Dienste nicht einmal vier Wochen anhält? Gibt es etwas Gediegeneres und die Ungnade Überdauernderes als das Geld? Ich möchte mir schreckliche Wahrheiten erlauben, Hoheit!«
    »Ich erlaube sie Ihnen,« sagte die Fürstin mit einem tiefen Seufzer, »so überaus peinlich sie für mich sind.«
    »Wohlan, Hoheit! Der Fürst, Ihr Sohn, durch und durchein Ehrenmann, kann Sie viel unglücklicher machen, als es sein Vater getan hat. Der Hochselige hatte Charakter. Unser gegenwärtiger Landesherr ist nicht imstande, drei Tage hintereinander dasselbe zu wollen. Die Folge davon ist: um seiner sicher zu sein, muß man dauernd um ihn herum sein und niemanden mit ihm sprechen lassen. Da diese Tatsache nicht schwierig zu erkennen ist, werden die neuen Ultras, Rassi und die Marchesa Raversi an der Spitze, dem Fürsten eine Mätresse verschaffen. Dieser Mätresse wird man erlauben, sich zu bereichern, aber als Gegenleistung muß sie der Partei für den festen Willen ihres Gebieters haften.
    Damit ich an Allerhöchstdero Hofe festen Fuß fasse, ist es nötig, daß Rassi verbannt und öffentlich für ehrlos erklärt wird. Ich möchte fernerhin, daß Fabrizzio von den ehrenhaftesten Richtern, die man finden kann, abgeurteilt wird. Wenn diese Herren, wie ich hoffe, seine Unschuld anerkennen, so wird man billigerweise dem Erzbischof willfahren, Fabrizzio zu seinem Koadjutor und dereinstigen Nachfolger zu machen. Scheitern meine Absichten, dann ziehe ich mich mit dem Grafen zurück. Scheidend gebe ich dann Eurer Hoheit den Rat: Sie dürfen Rassi nie verzeihen und niemals die Lande Ihres Sohnes verlassen! Dann wird Ihnen Ihr guter Sohn kein ernstliches Leid antun.«
    »Ich bin Ihren Auseinandersetzungen mit der größten Aufmerksamkeit gefolgt«, erwiderte die Fürstin lächelnd. »Muß ich mich also selbst darum kümmern, meinem Sohn eine Mätresse auszusuchen?«
    »Durchaus nicht, Hoheit! Erstreben Sie fürs erste, daß Ihr Salon der einzige ist, wo er sich wohl fühlt.«
    In dieser Richtung spann sich die Unterhaltung lange weiter. Der harmlosen und geistreichen Fürstin fiel es wie Schuppen von den Augen.
    Ein Bote der Duchezza meldete Fabrizzio, daß er die Stadt betreten könne, aber ganz heimlich. Man konnte ihn schwerlich erkennen. Als Bauer verkleidet, machteer sich alsbald in der Holzbude eines Maronenhändlers zu schaffen, schräg gegenüber vom Tor der Zitadelle, unter den Bäumen der Promenade.

Vierundzwanzigstes Kapitel
    Die Duchezza veranstaltete reizende Abendgesellschaften im Schloß, das noch nie so viel Fröhlichkeit gesehen hatte. Nie war sie liebenswürdiger erschienen als in diesem Winter, obwohl sie von den größten Gefahren umringt war. Und so kam sie während dieser kritischen Saison auch keine zweimal dazu, unglücklich zu sein, wenn sie an die befremdliche Veränderung in Fabrizzios Wesen dachte. Der junge Fürst stellte sich immer sehr früh zu den netten Abenden seiner Mutter ein, und diese pflegte zu sagen: »Sie sollten lieber regieren! Ich wette, auf Ihrem Schreibtisch liegen mindestens zwanzig Berichte, die auf ein Ja oder Nein harren, und ich möchte nicht, daß Europa mich beschuldigt, ich machte einen Scheinkönig aus Ihnen, um an Ihrer Stelle zu herrschen.« Diese Bemerkungen fielen unglücklicherweise immer in den ungelegensten Augenblicken, nämlich gerade dann, wenn Serenissimus, seine Schüchternheit besiegend, an der Aufführung irgendeiner dramatischen Scharade mitwirkte, was ihn höchlichst ergötzte. Zweimal in der Woche wurden Ausflüge über Land unternommen, wozu die Duchezza unter dem Vorwand, den neuen Monarchen volkstümlich zu machen, die hübschesten Damen aus der bürgerlichen Gesellschaft hinzuzog. Die Duchezza war die Seele dieser lustigen Hofhaltung; sie hoffte, daß die schönen Bürgermädchen, die alle mit tödlichem Neid auf das hohe Glück des bürgerlichen Rassi schielten, dem Fürsten eine der zahllosen Schurkereien dieses Ministers verraten würden. Unter anderen kindlichen Ansichten hatte der Fürst nämlich den Wahn, er besäße ein sittenstrenges Ministerium.
    Rassi besaß viel zuviel Verstand, als daß er nicht gemerkt hätte, wie gefährlich ihm diese von seiner Feindin geleiteten glänzenden Abendgesellschaften am Hofe der Fürstinwitwe waren. Er hatte dem Grafen das noch rechtsgültige Urteil gegen Fabrizzio

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