Die Kartause von Parma
entgegnete der Graf, ein wenig betroffen. »Und das alles erzählen Sie mir im Wachtsaal!«
»Weil ichs eilig habe und Rassi der Geschichte auf der Spur ist. Allerdings habe ich niemals von einer Empörung gesprochen. Ich verabscheue die Jakobiner. Überlegen Sie sich die Sache, und sagen Sie mir Ihre Meinung nach dem Stück!«
»Ich will Ihnen auf der Stelle sagen, daß Sie den Fürsten verliebt machen müssen, aber wohlgemerkt, in allen Ehren!«
Man rief die Duchezza auf die Bühne. Sie eilte hin. Etliche Tage später empfing die Duchezza durch die Post einen lächerlich großen Brief, der mit dem Namen einer ihrer ehemaligen Kammerzofen unterschrieben war. Es war ein Gesuch um eine Anstellung bei Hofe, aber die Duchezza erkannte auf den ersten Blick, daß es weder die Handschrift noch der Stil jener Zofe war. Als sie den Bogen aufschlug, um die zweite Seite zu lesen, fiel ihr ein kleines wundertätiges Madonnenbild vor die Füße, eingewickelt in ein bedrucktes Blatt aus einem alten Buch. Nach einem flüchtigen Blick auf das Bildchen las die Duchezza ein paar Zeilen des alten bedruckten Blattes. Ihre Augen funkelten, als sie da folgende Worte fand:
›Der Volksvertreter hat hundert Franken im Monat genommen, nicht mehr. Mit dem Rest sollte das heilige Feuer in den Seelen, die durch den Egoismus vereist sind, wieder angefacht werden. Der Fuchs ist mir auf der Spur. Deshalb habe ich nicht danach getrachtet, das angebetete Wesen ein letztes Mal zu besuchen. Ich habe mir gesagt, sie liebt die Republik nicht, sie, die mir ebenso an Verstand wie an Anmut und Schönheit überlegen ist. Wie soll man auch eine Republik ohne Republikaner gründen? Ob ich mich täusche? In sechs Monaten werde ich, die Laterne des Diogenes in der Hand, zu Fuß durch die kleinen Städte Amerikas pilgern; ich will sehen, ob ich die einzige Rivalin noch lieben darf, die Sie in meinem Herzen haben. Wenn Sie diesen Brief erhalten, Frau Duchezza, und wenn ihn vor Ihnen kein Unberufener gelesen hat, dann lassen Sie eine der jungen Eschen umbrechen, die zwanzig Schritt von dem Flecke stehen, wo ich Sie zum ersten Male anzureden gewagt habe. Darauf werde ich unter dem großen Buchsbaum im Garten, dem Sie einmal in meinen glücklichen Tagen Beachtung schenkten, ein Kästchen vergraben, in dem sich Dinge befinden, derentwegen man den Leuten meiner Überzeugung Schlimmes nachsagt. Ich hätte mich wohl gehütet zu schreiben, wenn der Fuchs mir nicht auf der Spur wäre und ein himmlisches Wesen gefährden könnte. In vierzehn Tagen werde ich nach dem Buchsbaum sehen.‹
›Da er eine Druckerei zur Verfügung hat,‹ dachte die Duchezza, ›so werden wir bald eine Sonettsammlung haben. Wer weiß, was für einen Namen er mir da andichten wird!‹
Aus Berechnung machte die Duchezza einen Versuch. Sie wurde acht Tage lang unpäßlich, und der Hof hatte keine netten Abendgesellschaften mehr. Sehr ärgerlich über alles, was sie aus Angst vor ihrem Sohn seit den ersten Stunden ihres Witwentums hatte tun müssen, verbrachte die Fürstinmutter diese acht Tage in einem Kloster, das zu der Kirche gehörte, wo der hochselige Fürstbestattet lag. Diese Unterbrechung der Abendgesellschaften stürzte den Fürsten in riesige Langeweile und versetzte dem Ansehen des Justizministers einen merklichen Stoß. Ernst V. begriff, was für eine Langeweile seinem Hofe drohe, wenn ihn die Duchezza verließe oder auch nur einmal aufhöre, Freuden zu spenden.
Die Abendgesellschaften begannen wieder, und dem Fürsten gefiel die Commedia dell'arte immer mehr. Er hatte Lust, eine Rolle zu übernehmen, aber er wagte seinen Ehrgeiz nicht zu bekennen.
Eines Tages sagte er zur Duchezza, indem er über und über rot wurde: »Warum spiele ich nicht auch?«
»Wir stehen Eurer Hoheit alle zur Verfügung! Wenn Hoheit es mir zu befehlen geruhen, werde ich den Plan zu einer Komödie entwerfen. Bei den Glanzszenen von Allerhöchstdero Rolle sollen Hoheit mich als Partnerin haben. Und da jeder bei den ersten Malen ein wenig Lampenfieber hat, so wollen Hoheit mich aufmerksam ansehen: ich werde die nötigen Antworten vorsagen.«
Alles war mit endloser Sorgfalt vorbereitet. Der überaus schüchterne Fürst schämte sich seiner Schwäche. Die Mühe, die sich die Duchezza gab, damit ihn seine angeborene Schüchternheit nicht quäle, machte tiefen Eindruck auf den jungen Monarchen.
Am Tage seines ersten Auftretens begann das Spiel eine halbe Stunde früher als gewöhnlich, und im Augenblick des
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