Die Karte der Welt (German Edition)
der Magier selbst die Schuld daran trug, dass er zu Vills Zielscheibe geworden war. Schließlich hatte er sich aus seiner eigenen Eitelkeit heraus mit dem Verrücken des Schleiers gebrüstet.
Unterdessen kam Brynn zurück. Sie schien sich nicht wohl zu fühlen in Wex’ Gegenwart, und er sich eigentlich auch nicht in ihrer, aber trotzdem fand er es irgendwie beruhigend, dass sie da war. Ihre Stimme war angenehmer als Kravens Schreie, und sie sprach jetzt mit ihm wie mit einem Gleichberechtigten, obwohl er das nicht war. Auch das kokette Getue ließ sie nun bleiben, warf ihr Haar nicht mehr zurück und versuchte auch nicht länger, ihre Absichten zu verbergen, sondern rückte sofort damit heraus.
»Verstehst du jetzt langsam, wie wichtig du bist?«, fragte sie.
»Nein«, erwiderte Wex.
»Ich habe es dir schon einmal gesagt: Du verfügst über große Macht. Und jetzt weiß das auch unser Feind.«
»Ich fühle mich aber nicht so. Ich fühle mich entsetzlich, und ich habe Angst.«
»Wir alle haben Angst. Ich selbst wahrscheinlich am allermeisten. Aber du hast die Macht, die Dinge mit einem einzigen Federstrich zu ändern.«
»Meine Federstriche haben nichts als Unglück gebracht. Außerdem lässt Fretter mich nicht einmal mehr in die Nähe der Karte. Ohne sie habe ich kein bisschen Macht.«
»Den ersten Sieg, den wir in dieser Schlacht errungen haben, hast du auf einen einfachen Stofffetzen gezeichnet«, erwiderte Brynn scharf.
Wex wollte widersprechen, konnte es aber nicht. Wieder einmal hatte sie klüger gesprochen als er. Er fragte sich, ob er es in Zukunft vermeiden sollte, mit ihr zu reden, oder sich einfach daran gewöhnen. Allzu lange würde er es ohnehin nicht mehr ertragen müssen. Den größten Teil der Wasservorräte hatten sie gekocht und über den Düsterlingen ausgegossen. Es blieb ihnen höchstens noch genug für einen Tag, dann würden Blurdos Männer zum Fluss müssen, um neues zu holen. Und Fretter hatte vor aufzubrechen, wenn das geschah. Oder schon früher.
»Fackeln!«, ertönte es überall im Turm. Jeder, der sich in der Nähe eines Fensters befand, hatte sie gesehen.
Wex spähte nach draußen. Das ganze Düsterlinglager jenseits des Flusses schien in Bewegung. Die Fackeln bewegten sich mit hoher Geschwindigkeit in alle möglichen Richtungen, begleitet von markerschütternden, kehligen Düsterlingschreien. Ein Teil von ihnen rottete sich zu einem Pulk zusammen, der dann in einer langgezogenen Reihe auf den Turm zujagte. Sie kamen über Addels Brücke.
»Sie greifen an!«
Jetzt explodierte auch der Turm vor Aktivität. Lanzenträger liefen hin und her, und Wex sah, wie Blurdo mit seiner Leibwache irgendwohin rannte.
Fretter rief hektisch seine Soldaten zu sich für den Fall, dass sich eine Gelegenheit ergeben sollte, die Reihen der Düsterlinge zu durchbrechen. Brynn war ebenfalls dabei. Adara nicht. »Sie wird bei den Flusskindern bleiben«, erklärte Fretter auf Wex’ Protest hin.
»Wir könnten ihnen den Jungen aushändigen«, schlug der ältere Winster vor. »Auf den haben sie es doch abgesehen.«
»Und die Karte des Fürsten noch dazu?«, blaffte Spragg seinen Bruder an.
»Ja«, sagte Curdwell. »Umso besser, wenn wir das verfluchte Ding los sind.«
»Ihr wollt als Soldaten der Palastwache von Skye im Angesicht von Gefahr alles verraten, was uns hoch und heilig ist?«, versuchte Spragg, die beiden bei der Ehre zu packen.
Fretters Reaktion kam prompt: »Ich werde nicht noch einen aus unseren Reihen den Klauen dieser Tiere ausliefern.«
»Der Junge ist ein Bauer«, widersprach Winster. »Er gehört nicht zu unseren Reihen.«
»Die Schreie des Letzten hängen immer noch in der Luft, außer du bist taub. Bist du taub?«, schrie Fretter ihn an.
Winster gab sich geschlagen. »Nein, Herr«, erwiderte er kleinlaut. »Ich höre sie.«
Wex lauschte angestrengt. Kravens Flehen wurde von dem hektischen Gebrüll der Düsterlinge beinahe übertönt.
»Düsterling an der Mauer!«, rief einer der Zwerge von seinem Wachposten aus.
Wex rannte ans Fenster, und Brynn eilte hinterher, ebenso Spragg mit seinem Bogen.
»Ich sehe keinen Düsterling«, erklärte Spragg.
»Er hat mich in unserer Sprache angerufen und etwas von der Felsbrücke weiter flussabwärts gesagt.«
»Eine neue Gefahr?«, fragte Wex.
»Wohl eher eine Falle«, erklärte Fretter und zog die Gruppe beiseite. »Wir müssen gehen, jetzt. Ihr alle seht die Fackeln, die hierher unterwegs sind. Wir nutzen die Deckung des
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