Die Karte der Welt (German Edition)
Düsterlinge hatte nicht genug Zeit gehabt, um welche zu bauen, überlegte Wex. Sie mussten sich die heil gebliebenen Boote der Flussmenschen geschnappt haben. Ohne jeden Zweifel war Vill es gewesen, der sie auf den Fluss gescheucht und ihnen das Rudern beigebracht hatte.
Links und rechts auf Arkh und Mungo gestützt, hielt Kraven mit, so gut es ging. Er war immer noch geschwächt. Adara und Bello waren schwach zu Fuß und jetzt schon außer Atem. Sie waren es einfach nicht gewohnt, längere Strecken an Land zurückzulegen.
Der Pfad zur Eidechsenwand war deutlich zu erkennen, aber je höher sie kamen, desto öfter sahen sie die Verfolger hinter sich. Jetzt, da sie den Fluss verlassen hatten, waren ihre Spuren leicht zu finden. Wex musste sich gar nicht erst selbst nach den Düsterlingen umdrehen, es genügte vollkommen, in Spärlings kreidebleiches Gesicht zu blicken, um zu wissen, wie schlimm die Lage war: Die Augen des jungen Soldaten wurden immer größer, was bedeutete, dass die Düsterlinge schnell näher kamen.
»Felswand voraus«, rief Pinch, der die Vorhut übernommen hatte.
Als Wex die Abrisskante erreichte, wurden unliebsame Erinnerungen in ihm wach. Am Fuß der Felswand lagen die Überreste all jener, die dort abgestürzt waren, unter ihnen auch Garrot, und dahinter erstreckte sich die Kraterschlüssel mit dem feuchtheißen Palmenwald.
»Sie werden uns gleich eingeholt haben!«, rief Spärling.
Diesmal war es kein bloßes Gejammer, es war die Wahrheit, und andere fielen in das Geschrei mit ein. Sie würden es nicht bis zum Kamm schaffen, die flinken Düsterlinge würden gleich hier sein, und das wäre ihr Ende. Die Bestien waren zwar noch nicht in Sicht, aber sie waren nur noch wenige Minuten hinter ihnen.
Fretter bedeutete allen still zu sein, damit er nachdenken konnte. Aber unter Druck Entscheidungen zu treffen, war nicht seine Stärke, wie Wex bereits wusste.
»Die Felswand runter«, überlegte Wex laut, während alle anderen mucksmäuschenstill waren, damit ihr Hauptmann sich konzentrieren konnte.
»Was? Niemals!«, riefen mehrere wütende Stimmen. Wenn Wex nicht freiwillig das Maul hielt, fügten sie hinzu, würden sie es ihm mit Gewalt stopfen.
»Wir müssen einen Teil unserer Sachen die Wand runterwerfen«, beharrte Wex trotzig. »Wir laufen hier auf felsigem Untergrund und hinterlassen keine Spuren!«
Brynn nickte wild. »Schnell«, sagte sie, »werft alles nach unten, was ihr nicht braucht.«
»Tut, was der Junge sagt!«, fügte Pinch hinzu.
Sie hatten ohnehin nur leichtes Gepäck, aber sie trennten sich, wovon sie nur konnten. Beutel, Hüte, ein Wanderstock und anderes Zeug segelten über die Kante. Nachdem das erledigt war, machte Wex einen tiefen Kratzer in das Stück Holz, auf das er die Karte des Kraters gezeichnet hatte, und ließ sie kurz vor der Kante auf den Boden fallen.
»Und jetzt …?«, fragte der ältere Winster fordernd.
»Verstecken wir uns«, erklärte Pinch und zwinkerte Wex zu.
Wex nickte, und die Gruppe rannte los, auf ein Gestrüpp zu, gerade mal eine Furchenlänge entfernt.
Sie hatten Kraven gerade zwischen die Büsche gescheucht, als der erste Düsterling keuchend den Kamm erreichte. Er trabte auf die Felskante zu, blieb stehen und hob Wex’ Karte auf. Dann beugte er sich vornüber und spähte nachdenklich nach unten. Alle hielten den Atem an. Schließlich drehte der Düsterling sich um und verschwand in der Richtung, aus der gekommen war.
Eine Zeit lang geschah nichts. Beinahe zehn Minuten. Dann erschien der Kinderbandit auf dem Kamm.
»Bei den Göttern«, flüsterte Pinch. »Die Welt steht kopf.«
Der Düsterlingspähtrupp war etwa vierzig Mann stark, und Wex verzweifelte. Er war sicher, sie würden ausschwärmen und die gesamte Umgebung absuchen. Aber die Düsterlinge hatten es eilig. Ihr Jagdinstinkt versetzte sie beinahe in Raserei, und sie konnten kaum stillhalten in Erwartung neuer Befehle.
Auch Fen reagierte überhastet. Wütend brüllte er sie an, weil sie haltgemacht hatten, und befahl ihnen, gefälligst die Wand hinunterzuklettern.
»Wenn sie es geschafft haben, können wir das auch!«, kreischte er. »Über die Kante mit euch!«
Ob sie nun seine Worte verstanden hatten oder lediglich Fens wilde Gesten, die Düsterlinge gehorchten und kletterten eilig über die Felskante. Als der letzte verschwunden war, folgte Fen, und Wex musste Pinch zurückhalten, der etwas davon murmelte, wie gerne er dem »kleinen Teufel« mit einem Schubser den Weg
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