Die Karte der Welt (German Edition)
schritt auf Wex zu. »Also mach dich schon mal …«
Der erste Wurf erwischte ihn am Bein, knapp unterhalb des Knies.
»Au!«, bellte Dunhard. »Soll das ’n Witz sein?«
Der nächste war ein Volltreffer, und Dunhard geriet ins Taumeln. Ein dritter traf ihn an der Hand, und der große Brocken entglitt Dunhards Griff. Zwei weitere schlugen an Hals und Kopf ein, noch bevor er irgendetwas tun konnte. Dann jedoch griff er an.
Wex tänzelte zurück und schleuderte Stein um Stein. Dank der Knieverletzung, die er seinem Kontrahenten beigebracht hatte, hatte Wex keine Probleme, auf Distanz zu bleiben. Er konzentrierte die Würfe auf die Beine des alten Mannes.
Osi Hoxxel sah, wie sein Vater Treffer um Treffer einsteckte, und sprang über den Zaun, aber Mungo packte ihn mitten im Flug und schleuderte Osi über den Zaun zurück zu den Schweinen. Cud konnte sich gerade noch rechtzeitig wegducken, sodass sein Bruder mit dem Gesicht voran im Dung landete.
Dunhard lag am Boden und hielt sich vor Schmerzen den Kopf.
Wex hielt noch einen letzten Stein in der Hand, und Pinch nickte ihm zu, er solle es beenden.
Wex schüttelte den Kopf. »Er liegt am Boden. Ich habe gewonnen.«
Sie versammelten sich um den Besiegten.
»Gebt Ihr Euch geschlagen?«, fragte Pinch.
Dunhard stöhnte nur, und Wex ließ sein letztes Wurfgeschoss auf den Boden fallen.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht kam Dunhard auf die Beine. Er hielt sich den Rücken.
Pinch stürzte vor. Schneller als Wex mit den Augen folgen konnte, riss er seinen Dolch aus der Scheide und trennte Dunhard mit einem einzigen Streich vier Finger von der rechten Hand.
»Nein!«, kreischte Wex. Es war ein fairer Kampf gewesen, und er hatte gewonnen.
»Paps!«, wimmerte Osi, blieb aber hinter dem Zaun, denn auch Mungo hatte sein Schwert gezogen und verwehrte den Brüdern mit der langen, breiten Klinge jede Einmischung.
»Du hast ihn umgebracht!«, schrie Wex Pinch an.
»Schon möglich«, erwiderte Pinch, ohne den Dolch wegzustecken. »Das Überleben ist schwer, wenn man keine Finger mehr an der Hand hat, die man zum Arbeiten braucht. Vielleicht verblutet er ja auch.«
»Ich wollte nicht, dass jemand ermordet wird«, sagte Wex. »Ich wollte nur eine Rechnung begleichen.«
»Kennst du mich immer noch so schlecht, Junge? Ich bin kein Mörder. Ich habe Menschen getötet, das ja. Ermordet? Nein. Das habe ich dir schon einmal gesagt, wie ich mich entsinne.«
»Du hast gesagt, ›nichts mit einer Schneide‹!«
»Das habe ich in der Tat.« Pinch rollte Dunhard Hoxxel mit dem Stiefel auf den Bauch. Unter Dunhards Gürtel, an der Stelle, die er sich angeblich vor Schmerz gehalten hatte, steckte ein langes, tödlich aussehendes Messer.
»Presst einen sauberen Lappen auf die Wunden«, erklärte Arkh den beiden im Schweinepferch. »Dann hat er eine Chance zu überleben. Falls ihr das wünscht. In Übereinstimmung mit unserer Abmachung werdet ihr bis morgen früh Zornfleck verlassen haben. Wir werden zurückkehren und das überprüfen. Fürs Erste soll es genügen, wenn wir unsere Schweine mitnehmen und euch jetzt allein lassen.«
63
Die Grenze nach Abrogan zu überschreiten war nichts, was Vill auf die leichte Schulter nahm. Sobald er sich auf dem Hoheitsgebiet des Fürsten befand, unterlag sein Handeln dem dortigen Gesetz, und bewaffnete Truppen nach Abrogan zu führen wurde mit dem Tod bestraft. Kryst hatte genug Soldaten, um das Urteil durchzusetzen. Die Dinge hingegen, die Vill in den Landen getan hatte, die bis vor kurzem noch unter dem Schleier gelegen hatten, unterlagen keiner Rechtsprechung, und soweit er es beurteilen konnte, gab es dort auch keine Armeen, die ihn hätten stellen können. Er konnte hierbleiben und sich ein Leben mit den Düsterlingen einrichten. Aber er wollte seine Rache nicht auf unbestimmte Zeit in die Zukunft verschieben.
»Wir brauchen mehr«, erklärte er Schlitzer und Eber.
»Wir haben mehr«, erwiderte Eber. »Jeden Tag kommen Neue.«
»Das ist gut, aber …«, begann Vill und verstummte. Es war in der Tat gut. Wie in Schwärmen kamen sie zu ihm geströmt. Die Nachricht von seinem Sieg über das Flussvolk und jetzt auch über die Aussätzigen hatte sich schneller verbreitet, als Vill zu hoffen gewagt hatte. Jeder steht gern auf der Seite des Siegers, vor allem wenn Sieg Überleben bedeutet und Niederlage den Tod. Massenhaft schlossen sie sich ihm an. Dennoch hatte er das Gefühl, dass er mehr Soldaten brauchte, um in Abrogan einzumarschieren. Ein
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