Die Karte Des Himmels
Halskette schließlich im Turm versteckt hatte. Und warum. Jude hatte mit Gran verabredet, dass sie am Montagnachmittag wieder zu Besuch kommen würde.
Nach dem Abendessen auf Starbrough Hall rief sie Claire an. Sie hatte immer noch ein schlechtes Gewissen wegen des Streits.
»Tut mir leid wegen gestern Abend«, erklärte sie ihrer Schwester. »Ich wollte mich erkundigen, wie es beim Arzt war.«
»Mir tut es auch leid«, sagte Claire. »Du machst mir Angst, das ist alles. Der Arzt glaubt, dass Summer nichts fehlt. Und ich versuche, ihm zu glauben.«
»Freut mich sehr, das zu hören«, sagte Jude, aber irgendwie schwebte eine gewisse Unsicherheit zwischen ihnen. Sie glaubte nicht, dass alles in Ordnung war, und sie war überzeugt, dass Claire es auch nicht glaubte. Aber auf keinen Fall wollte sie Claires zerbrechliches Gleichgewicht zerstören, indem sie das aussprach.
»Oh, ich habe mir die astrologische Zeichnung angesehen und Linda gebeten, auch einen Blick darauf zu werfen, als wir ein paar Minuten für uns hatten«, berichtete Claire. »Linda ist auch der Meinung, dass das Diagramm sehr alt ist. Sie hat ein Buch gefunden, das wir im Laden verkaufen, und wir haben alles nachgeschlagen. Jude, es ist kein gutes Horoskop. Es sagt viel aus über Verlust und Tragödien und Kraft, um Schwierigkeiten zu meistern. Ich wäre sehr beunruhigt, wenn man meinem Kind ein solches Horoskop erstellen würde. Wenn du das nächste Mal herkommst, erkläre ich es dir in allen Einzelheiten.«
»Danke. Obwohl ich nicht genau weiß, wie es mir nützen kann. Wir wissen doch immer noch nicht, für wen es war, oder?«
»Für deine Esther, dachtest du?«
»Kann sein. Wenn wir von der Zeit um 1760 ausgehen. Deine Deutung spricht nicht gerade für ein glückliches Ende ihrer Geschichte.«
»Vermutlich nicht.«
»Hör zu, ich hab für morgen noch nichts geplant. Ich könnte euch beide abholen und irgendwo zum Mittagessen mit euch rausfahren. Was meinst du?«
»Tut mir leid, aber ich hab morgen schon was vor. Ein paar Leute kommen zum Mittagessen.«
»Wie schön, das freut mich. Jemand, den ich kenne?«
»Ja. Darcey und ihre Eltern. Ach, und Euan hab ich auch gefragt.«
»Oh.« Jude wartete. Vielleicht würde ihre Schwester sie auch einladen, aber das tat sie nicht, und wieder breitete sich Schweigen zwischen ihnen aus. Jude spürte, wie sie rot und verlegen wurde. »Gut, dann vielleicht ein andermal«, brachte sie schließlich heraus.
»Wie wär’s mit abends?«, fragte Claire eilig. »Komm doch vorbei und hol das Horoskop ab. Dann zeige ich dir, was Linda aufgeschrieben hat.«
»Einverstanden«, sagte Jude kühl. Das mit dem Mittagessen war sowieso eine dumme Idee gewesen. Sie war wütend auf ihre Schwester, aber auch, weil sie eigentlich nicht das Recht hatte, wütend zu sein. Manchmal kam es ihr vor, als hätten Claire und sie sich in eine Art Guerillakrieg verstrickt, in dem weder die eine noch die andere Seite die Deckung aufgab.
23. Kapitel
Als Jude am Sonntagmorgen wach wurde, spürte sie ein tiefes Gefühl der Einsamkeit. Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben. Sie blieb noch eine Weile im Bett liegen und versuchte, einen Krimi zu lesen. Dann zog sie sich an, ging nach unten und stellte fest, dass außer den Hunden niemand im Haus war. Die Familie hatte sich zur Kirche aufgemacht. Auf dem Frühstückstisch hatte Chantal eine Nachricht hinterlassen. In ihrer sauberen Handschrift stand da, dass sie zum Mittagessen nur zu zweit wären – die Zwillinge seien mit ihren Eltern auswärts eingeladen. Jude frühstückte, brachte sich mit den Zeitungen vom Vortag auf den neuesten Stand, und weil sie in dem leeren Haus nichts anderes zu tun hatte, ging sie in die Bibliothek und machte sich daran, Esthers Bericht weiter zu transkribieren. Wie immer empfand sie es als tröstlich, sich hinter ihrer Arbeit zu verstecken.
Danach wuchs die Nähe zwischen meinem Vater und mir. Oft war er derselbe, der er immer gewesen war – verschlossen, einsam, allein. Noch immer zog er sich längere Zeit in die Werkstatt zurück, oder ich fand ihn in seinem Arbeitszimmer in ein Buch vertieft, eine Mahlzeit unangerührt auf dem Tablett. Manchmal schien er mich nicht zu bemerken, und dann saß ich still neben ihm, um selbst ein bisschen Forschung zu betreiben, bis er plötzlich sagte: »Hör dir das an« und einen Absatz aus irgendeinem Band über die Via Lacta vorlas, das ist unsere Milchstraße – jene Milch, die sich aus der Brust der
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