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Die Karte Des Himmels

Die Karte Des Himmels

Titel: Die Karte Des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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da, ein ruhiger Junge, zu dürr, mit einem Buch in der Hand, alles in allem seinem Onkel ähnlicher als je zuvor.
    »Wo ist mein Bruder?«, schnauzte Alicia Mr. Corbett an.
    »Nun, er ist heute nach Norwich gefahren«, erwiderte der Butler.
    Er war um zehn Uhr morgens aufgebrochen, nachdem er Alicias Brief mit der Ankündigung ihrer drohenden Ankunft erhalten hatte. Den weiteren Inhalt hatte er nicht preisgegeben, aber was auch immer es sein mochte, es hatte ihn in eine düstere Stimmung versetzt. Anstatt sich nach dem Frühstück wie üblich in sein Arbeitszimmer zurückzuziehen, rief er nach der Kutsche. Nachdem er Mrs. Godstones Frage nach dem Dinner mit einem ruppigen ›Wie es Ihnen beliebt‹ beantwortet hatte, verschwand er – mit nicht mehr als nur einem einzigen Blick auf mich – aus dem Haus.
    Von meinem Fenster aus sah ich ihn an jenem Nachmittag kurz nach fünf zurückkehren. Seine Kleidung glänzte nass. Sofort machte er mich in meinem Zimmer ausfindig, wo ich auf dem Bett lag und zu lesen vorgab, und brachte mich in den Salon, wo Alicia, ihr Ehemann und Augustus bereits warteten. Es war, als wäre ich wirklich seine Tochter, welche einer Tante vorgeführt werden sollte, die ganz vernarrt in sie war. Auf Vaters Anweisung hin nahm ich zögernd auf dem Sofa Platz.
    »Nun«, begann Alicia und betrachtete mich von oben herab, als wäre ich ein Mondkalb, »wenn die Dinge tatsächlich so liegen, dann haben wir recht daran getan, herzukommen, nicht wahr, Adolphus?«
    »Es scheint so, es scheint so«, stöhnte Adolphus. Der arme Mann war zu sehr damit beschäftigt, eine bequeme Stellung für seinen schmerzenden Fuß zu finden, um mich überhaupt eines Blickes zu würdigen.
    »In der Tat, so ist es um die Dinge bestellt«, sagte mein Vater, trat hinter mich und legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter. »Ich habe die Absicht, Esther zu meiner Adoptivtochter und zu meiner Erbin zu erklären.«
    Mein Gesichtsausdruck musste das Kaleidoskop meiner Empfindungen gespiegelt haben, denn alle – Alicia, ihr Ehemann und ihr Sohn – starrten mich mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen an. Die Worte meines Vaters hatten sie ins Mark getroffen. Ich beobachtete, wie ihre Mienen so düster wurden wie die Wolken draußen am Himmel. Und dann brach der Sturm los.
    »Die da ist nicht geeignet, deine Tochter zu sein«, kreischte Alicia. »Sie ist das Gör irgendeines armen Hungerleiders, und die Welt wird sie als solches kennenlernen. Gib ihr Geld, wenn es dir gefällt. Zahl sie aus. Such ihr irgendeinen reichen Johnny, der wegen eines hübschen Gesichts über ihr schlechtes Blut hinwegsieht. Wie kannst du nur deine Familie und deinen guten Namen verraten? Denk an Augustus, denk an deinen edlen Vater ...«
    »Du kannst selbst für Augustus sorgen, du bist reich genug. Esther hat nichts. Und verdammt sei das Andenken an meinen betrunkenen Vater. Die Ländereien gehören mir. Ich kann mit ihnen verfahren, wie es mir beliebt. Und lass dir gesagt sein, dass ich vorhabe, sie jemandem zu hinterlassen, an dem mir liegt. Mein ganzes Leben lang habe ich darunter gelitten, von dir herumgestoßen zu werden, habe deine Einmischungen ertragen. Der Brief heute war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ich habe nichts gegen Augustus. Er entwickelt sich recht beachtlich, bedenkt man, von welchen Eltern er abstammt. Aber ich ... habe ... genug!«
    Noch nie hatte ich meinen Vater derart aufgebracht erlebt. Das schien offenbar auch für Alicia zu gelten, denn sie saß da, hatte den Atem aus den Lungen gepresst. »Nun ... nun ...« Mehr brachte sie nicht über die Lippen.
    Am nächsten Morgen reisten sie wieder ab. Durch die Regentropfen auf der Kutschenscheibe sah Augustus’ halb abgewandtes Gesicht aus wie ein gespenstischer Halbmond.
    Weder zeigte sich mein Vater, um sie zu verabschieden, noch verließ er den ganzen Tag das Arbeitszimmer. Ich trödelte trübsinnig herum, ging zwischen den Regenschauern in den Garten hinaus und stritt mit Sam, der sich vergaß und mich ›Emporkömmling‹ nannte. Ich fragte mich, was das alles zu bedeuten hatte.
    Aber als der Abend kam und warme Böen die Sturmwolken vertrieben, verließ mein Vater das Haus, um die Sterne zu beobachten, und ich mit ihm. Ich musste mich eilen, um seinem strammen Schritt folgen zu können.
    »Was haben Sie gestern Abend gemeint, Vater?«, wollte ich fragen. Wie kann ich jemals Eure Tochter werden? Aber irgendetwas in seinem Benehmen verbot mir

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