Die Karte Des Himmels
gehört hatte. Ja, Valerie hatte vor einigen Tagen aus Spanien angerufen. »Sie beklagt sich, wie heiß es dort ist«, sagte Gran. »Das habe ich ihr schon vorher gesagt, aber sie hört mir ja nie zu. Hat sie noch nie getan.«
»Oh, Gran, Mum ist inzwischen sechzig!«, rief Jude. »Alt genug, um ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.«
»Dein Kind ist und bleibt dein Kind«, sagte Gran ernst. »Das vergisst man nie. Und ich finde nun mal, dass es sehr dumm von ihr war, fortzugehen. Besonders in diesem Alter. Aber Valerie hat sich noch nie etwas von mir sagen lassen. Im Übrigen bin ich mir sicher, dass der arme Mr. Robinson sich freuen würde, wenn wir das Thema wechselten.«
»Ich wünschte, meine Großmutter wäre noch am Leben«, sagte Euan. »Sie ist schon seit über fünfzehn Jahren tot, und ich vermisse ihre Erzählungen immer noch. Ich glaube, Sie hätten sie gemocht.«
»Gran«, sagte Jude, die plötzlich eine Idee hatte, »hast du vielleicht irgendwelche Fotos von Tamsin?«
»Ich kann mich an keins erinnern. Oben auf dem Dachboden ist ein Karton mit Bildern. Ich selbst kann nicht mehr da raufsteigen, aber wenn du es versuchen willst, gern.«
»Wir holen den Karton herunter. Wo hast du den Haken für die Luke?«
Die Leiter war eingerostet, weil sie schon lange nicht mehr benutzt worden war. Aber es gelang ihnen, sie hinunterzuziehen, und Jude fand den Karton hinter einem Koffer mit Weihnachtsdekoration. Sie räumten das Teegeschirr ab und stellten den Karton vor Gran auf den Tisch.
Gran zog ein paar dicke braune Briefumschläge heraus. Sie enthielten Packen von Papieren, die sich an den Rändern aufrollten. Gran legte die Umschläge auf eine Seite. Dann griff sie nach dem kleinen dunkelroten Fotoalbum.
»Diese Aufnahmen hat mein Bruder Charlie mit seiner Box Brownie gemacht.«
Das Album enthielt Schwarz-Weiß-Fotos, die Jude und Euan Seite für Seite anschauten. Manche waren unscharf, weil die Entfernung wohl falsch eingeschätzt worden war. Charlie hatte jedes Bild mit einem witzigen Untertitel versehen, weiße Tinte auf schwarzem Tonpapier. »Sparky hat sich wieder mal über den Apfelwein hergemacht ...« unter dem Porträt eines Hundes, der sich auf dem Rücken wälzte. »Schnappschuss!« unter dem Foto zweier Mädchen, offenbar Schwestern, im gleichen schicken Sonntagskleid. »Das ist Sarah, und die Größere bin ich«, verkündete Gran, nachdem sie ihre Brille zurechtgerückt hatte.
»Sieh nur, das Cottage!«, rief Euan.
Es gab mehrere Fotos vom Häuschen des Jagdaufsehers. Rauch stieg aus dem Schornstein auf. Gran erklärte, dass auf einem Bild der Garten mit dem Gemüsebeet hinter dem Haus zu sehen war, auf einem anderen Sarah und ihre Freundin Ruth, die auf dem Gatter saßen, und dass der Pfeife rauchende Mann mit Mütze auf dem Foto mit dem Untertitel »Dad außer Dienst« ihr Vater war.
»Damals gab es noch keine Hecke«, bemerkte Euan, als er ein Bild betrachtete, das im Obergeschoss des Hauses aufgenommen worden war und die Straße zeigte.
»Und das bist du?«, fragte Jude und zeigte auf ein ernst blickendes Mädchen mit dunklem Haar und dunklen Augen, das ein paar Jahre älter war als auf dem Foto mit Sarah und sich an einen Schulranzen klammerte.
Gran schaute genauer hin. »Neun oder zehn muss ich da gewesen sein«, verkündete sie. Darunter stand: »Der Hund hat meine Hausaufgaben gefressen, Miss«, und Jessie hatte tatsächlich eine ängstliche Miene aufgesetzt.
Es gab kein Foto von Tamsin.
»Gran, wenn du an Tamsin denkst, woran kannst du dich noch erinnern?«, fragte Jude. »Es ist schwer, irgendwas über sie herauszufinden, wenn du uns nicht ein paar mehr Informationen gibst. Du hast gesagt, ihr Name sei Tamsin Lovall gewesen. Kannst du dich an ihren Geburtstag erinnern? Oder an den Namen ihrer Eltern oder irgendwas in die Richtung?«
»Tamsin glaubte, sie wäre im September geboren«, erwiderte Gran, »und als sie in der Schule gesagt hat, dass sie nicht wisse, wann genau, hat der Lehrer ein Datum für sie ausgesucht. Den zwanzigsten. Komisch, nicht, dass ich mich daran nach all den Jahren noch erinnere, mir aber den Geburtstag meiner eigenen Urenkelin nicht merken kann.«
»Nächsten Monat wird sie sieben, Gran. Am sechsundzwanzigsten August.«
Auf den letzten Seiten des Albums gab es ein paar Fotos von Gran und anderen Kindern, die an einem herabgefallenen Ast spielten. »Seht nur, da ist der Starbrough Folly!«, rief Jude und zeigte auf das Bild. »Und hier
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