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Die Karte Des Himmels

Die Karte Des Himmels

Titel: Die Karte Des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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ihm anreichte – niemand sonst durfte es tun. Man brachte eine hölzerne Pritsche in das Zimmer, sodass ich in seiner Nähe schlafen und ihn versorgen konnte, falls er nachts aufwachte. So verstrichen etwa zwei Wochen, bevor Dr. Brundall die unmittelbare Gefahr für beendet erklärte. Ängstlich und gespannt warteten wir auf weitere Fortschritte, die sich allerdings kaum einstellten. Mein Vater war ein gebrochener Mann.
    Der Februar verging. Weder konnte mein Vater das Bett verlassen, noch sprach er. Und dann, eines Tages zu Beginn des Monats März, fand er seine Stimme wieder, die kreischend und rostig klang, als wäre sie lange Zeit begraben gewesen. Er konnte nicht mehr als einzelne Worte aussprechen, ›Ja‹ oder ›Nein‹ oder ›Fleisch‹ oder ›Wasser‹. Schon früh erteilte er mir den Befehl ›Lesen‹. Ich sprang sofort auf und stürmte hinunter, wo ich die Regale in der Bibliothek nach einem geeigneten Buch durchstöberte. Ich wählte Tausendundeine Nacht , ein Buch, das Vater kurz vor seinem Unfall gekauft hatte, und fühlte mich bald wie Scheherezade persönlich, als ich Nacht für Nacht seine Aufmerksamkeit mit meinen Geschichten fesselte. Wenn er genug hatte, befahl er ›hinaus‹, was nicht zu bedeuten hatte, dass ich entlassen sei, sondern die Kerzen löschen solle. Ich zog mich in mein Zimmer zurück, ließ ihm aber die Vorhänge offen, damit er in seinen einsamen Nachtwachen die Himmel beobachten konnte.
    Eines Tages Mitte März brachte er ›Stern‹ und ›Buch‹ über die Lippen und ahmte das Schreiben nach. Also holte ich seine Observationstagebücher herbei, und wir verbrachten ein oder zwei Stunden mit der Durchsicht all dessen, was er gesehen hatte. Anders als ich erhofft hatte, schien ihn dies keineswegs zu beruhigen, sondern es wühlte ihn vielmehr auf. Diese Begebenheit brachte mich auf die Idee, dass wir ihn eines Nachts in den Park hinaustragen sollten, damit er die Sterne beobachten konnte. Unnötig zu erwähnen, dass der Haushalt diesem Plan mit Entsetzen begegnete. Was, wenn er stürzte oder sich den Tod holte? Doch meinen Vater belebte der Gedanke, und, da ich wusste, dass guter Mut über gute Gesundheit entscheidet, beharrte ich darauf, dass es sein Wille sei. Alle miteinander stimmten jedoch darin überein, Dr. Brundall nichts zu erzählen. Das war nicht einfach, da der gute Doktor sehr oft ins Haus kam. Einmal brachte er Vaters Anwalt Mr. Wellbourne mit, in welcher Angelegenheit, ist mir nicht bekannt, obwohl Mr. Corbett gerufen wurde, um die Unterschrift meines Vaters auf einem Dokument zu bezeugen. »Er war so schwach, dass er kaum schreiben konnte, es war jammervoll anzusehen«, berichtete er mir.
    In der ersten Nacht wurde mein Vater draußen auf dieselbe hölzerne Pritsche gebettet, auf der auch ich während der ersten kritischen Tage geschlafen hatte. Schon bald darauf wurde Mr. Trotwood nach Norwich gesandt, um einen Rollstuhl zu besorgen. Vater, der keine Kraft mehr in den Gliedmaßen hatte, war nicht in der Lage, ein Teleskop zu halten. Doch Sam mit seinen geschickten Händen konstruierte einen Rahmen, der an den Stuhl angebracht und an dem das Teleskop befestigt wurde. Nachdem das getan war, musste Vater nur den Kopf bewegen, um durch das Okular zu blicken. Ich saß neben ihm und notierte die gestammelten Beobachtungen wie üblich in seinem Buch. In vielen Nächten war er sogar dazu zu erschöpft, und gelegentlich übernahm ich an seiner Stelle die Beobachtung. Ich liebte es, die Himmel nach Kometen abzusuchen. Allerdings war keines der Teleskope in der Bibliothek in der Lage, die Schätze der Himmel so klar zu zeigen wie der große Reflektor im Turm. Aber ich wagte nicht, allein hinaufzusteigen. Daher wurde es eingerichtet, dass der Reflektor wieder ins Haus geschafft wurde, was großen Ärger verursachte. Sam konstruierte einen Stand im Park. Es war das Beste, was wir erreichen konnten, obwohl der Park nicht so geeignet war wie der Turm, der von den Lichtern anderer Gebäude weit entfernt war und den Sternen näher. Auch im Park war es einsam und noch dazu kalt. Oft waren meine Kleider schwer von feuchtem Tau oder steif von Raureif.
    In einer frostigen Nacht Ende März beobachtete ich zum ersten Mal etwas, was wie eine kleine Scheibe aussah, welche nahe am Taurus vorbeizog. Am folgenden Abend war sie wieder zu sehen. Von nun an suchte ich sie in jeder klaren Nacht und maß ihren Fortschritt auf Gemini. Ich glaubte, es müsse sich um einen Kometen handeln, aber

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