Die Karte Des Himmels
anderes da war, habe sie sich einfach hingesetzt und ihm von ihrem Vater erzählt und davon, wie schwierig Valerie wäre. Es habe damit geendet, dass sie in Tränen ausgebrochen sei. Was hätte er sonst tun sollen, um sie zu trösten? Das wäre alles gewesen. Jude würde überreagieren.
Jude war so wütend und so verunsichert gewesen, dass sie die Nacht auf dem Klappbett in der Abstellkammer verbracht hatte. Sie wolle einfach nur allein sein, hatte sie Mark erklärt, und über die Sache nachdenken. Aber da Mark bei seiner Version blieb und weil ihre Erinnerung an das, was sie gesehen hatte, mit all den anderen verwirrenden Vorfällen aus jener Zeit verschwamm, arrangierte sie sich schließlich damit und ließ die Angelegenheit auf sich beruhen. Wie auch immer, Claire fing an, mehr über einen gewissen Jon zu erzählen, den sie bei ihrer Arbeit an der Bar im Kunstzentrum kennengelernt hatte, und bald darauf war die Krise beigelegt.
Komisch. Erst jetzt, als Jude über Claire und Euan nachdachte, erinnerte sie sich wieder daran. Falls Claire wirklich versucht hatte, auf die alte Geschichte anzuspielen – warum um alles in der Welt? Aus Freundlichkeit oder Unfreundlichkeit? War es wirklich ein merkwürdiger Versuch, Mark von seinem Podest zu stoßen, damit Jude endlich die Tatsache akzeptierte, dass er nicht mehr da war? Oder wandte Claire irgendeinen Trick an, um ihr im Spiel der Liebe eine Nasenlänge voraus zu sein? Oder wollte ihre Schwester ihr etwas vollkommen anderes zu verstehen geben?
Der Gedanke, der Jude plötzlich durch den Kopf schoss, war zu schrecklich, um gedacht zu werden, und sie schob ihn beiseite.
28. Kapitel
Am Samstagmorgen wachte Jude erschöpft und schlecht gelaunt auf. Sie hatte zugesagt, am Abend zum Zelten zu kommen, und war überzeugt, dass Claire nicht besonders glücklich darüber sein würde. Langsam war sie es leid und dachte, dass es in mancher Hinsicht besser sei, wenn sie das Feld räumte. Zwei Wochen war sie nun schon in Starbrough Hall, zwei von diesen kostbaren drei Wochen ihres »Arbeitsurlaubs«, und sie musste sich entscheiden, wie sie die verbleibende Zeit verbringen wollte. Unter den gegebenen Umständen konnte sie hier wohl kaum unbeschwert Ferien machen. Sie überlegte, ob sie nach Greenwich zurückkehren sollte. Manche Nachforschungen konnte sie auch von dort aus anstellen und dann die Vorkehrungen treffen, um die Bücher und wissenschaftlichen Instrumente einzupacken und ins Büro bringen zu lassen. Aber irgendwie war ihr nicht wohl bei dem Gedanken, Summer allein zu lassen, solange das Mädchen derart durcheinander war. Außerdem gab es noch viele lose Enden, zum Beispiel die Geschichte mit Tamsin Lovall.
Vielleicht sollte sie doch bleiben. Obwohl Chantal beteuert hatte, dass Jude auf Starbrough Hall willkommen sei, wollte sie die Gastfreundschaft der Wickhams ungern noch eine weitere Woche in Anspruch nehmen. Bestimmt hatten sie inzwischen genug von ihrem Gast, obwohl sie höflich genug waren, es nicht zu zeigen. Und bei Claire zu wohnen war im Moment keine angenehme Vorstellung, und das lag nicht nur an der ungemütlichen Matratze.
Jude fuhr ihren Laptop hoch und schaute nach, ob sie irgendwelche E-Mails bekommen hatte. Auf den ersten Blick sah sie nichts, doch dann fand sie eine Nachricht, die Cecelia ihr am Tag zuvor geschickt hatte, im Spam-Ordner. Wahrscheinlich lag es daran, dass Cecelia den Betreff in Großbuchstaben geschrieben und mit einem halben Dutzend Ausrufezeichen versehen hatte. DAS MUSST DU UNBEDINGT LESEN!!!!!! Rasch öffnete Jude die Mail, und das, was sie las, ließ sie jeglichen Gedanken an eine Abreise vergessen.
Hey, Jude,
nachdem wir telefoniert hatten, bin ich in die British Library gegangen und habe einfach mal »Josiah Bellingham« in die Suchmaschine des Katalogs eingegeben. Und – ta da! – was kam als Treffer? Sein unveröffentlichtes Tagebuch. Ich habe es sofort bestellt und ... Du wirst kaum glauben, was ich gefunden habe. Die entscheidenden Stellen habe ich für Dich eingescannt – hier sind sie!
Jude lud den Anhang herunter und fing an zu lesen.
Aus dem unveröffentlichten Tagebuch des Josiah Bellingham, Hersteller optischer Instrumente und Mitglied der Königlich Astronomischen Gesellschaft.
31. Dezember 1778
Heute Morgen nach dem Frühstück habe ich das Haus meiner Schwester Fawcett verlassen. Nach zwei Stunden Fahrt traf ich um elf Uhr in Starbrough Hall ein. Dort stellte ich fest, dass die Reise umsonst war, denn
Weitere Kostenlose Bücher