Die Karte Des Himmels
Polizeiwagen stieg und davongefahren wurde.
»Claire, manchmal hasse ich dich wirklich«, flüsterte Jude, aber nicht so laut, dass ihre Schwester es hören konnte. Sie stand im Türrahmen, und die Tränen liefen ihr über die Wangen.
Sie wusste mit absoluter Sicherheit, dass Euan nichts mit Summers Verschwinden zu tun hatte. Trotzdem war sie im Geist wieder und wieder die Ereignisse jenes verhängnisvollen Abends durchgegangen, unfähig, sich an das zu erinnern, was nur knapp außerhalb ihres Bewusstseins zu tanzen schien. Und es hatte, das wiederum wusste sie ganz genau, mit dem Starbrough Folly zu tun.
32. Kapitel
Summer fand es herrlich, in diesem Wohnwagen einzuschlafen, den beruhigenden, vertrauten Duft von lackiertem Holz einzuatmen und die Muster an der Decke zu betrachten, die im schwindenden Abendlicht gerade noch zu erkennen waren. Sie lag warm und bequem und sicher im Bett, neben Darcey, ihrer besten Freundin, die leise neben ihr schnarchte. Sie dachte über das Märchen nach, das Tante Jude ihr vorgelesen hatte, und stellte sich einen Moment lang vor, sie sei Rapunzel im Turm, aber sie war sich sicher, dass sie selbst nie zulassen würde, dass jemand sie einsperrte. Also stellte sie sich lieber vor, wie es wäre, der Prinz zu sein und jemanden, den man liebt, vor irgendetwas Bösem zu retten. Mit diesem nicht unangenehmen Gedanken schlief sie ein.
Summer träumte, diesmal nicht den Traum vom Verirren. Sie lief zwar durch einen Wald, aber sie schrie nicht nach ihrer Mummy, sondern sie rannte, um jemandem zu helfen. Irgendetwas war nicht in Ordnung, das spürte sie ganz genau, jemand war in Gefahr, und diesen Jemand musste sie finden. Und sie wusste, dass es mit dem Turm zu tun hatte. Dorthin musste sie gelangen, dort musste sie helfen.
Immer noch tief in ihren Traum versunken, setzte sie sich in der Dunkelheit auf, schlug die Bettdecke zurück und schwang die Füße auf den Boden. Mit der Zehe berührte sie etwas. Einen Schuh. Sie bückte sich und griff danach, schlüpfte mit dem Fuß hinein und tastete herum, bis sie den zweiten gefunden hatte, den sie ebenfalls anzog. Dann stieß sie die Tür des Wohnwagens auf und tastete sich die Stufen hinunter. Von hier aus kannte sie den Weg zum Starbrough Folly. Sie schlich auf Zehenspitzen am Zelt vorbei und rannte über die Wiese – ein bisschen ängstlich, aber nicht so sehr, denn es war wichtig, heute Nacht tapfer zu sein, tapfer wie ein Prinz. Die Eulen flatterten in ihren Käfigen, sahen sie, aber Summer nahm sie nicht wahr. Sie wandte sich nach links und ging die Straße hinauf bis zu der Stelle, wo die Foxhole Lane abzweigte, denn ihr war klar, dass der Fußweg scheußlich und dornig sein würde.
Und jetzt konnte sie schon viel deutlicher spüren, wie drängend der Turm sie zu sich rief, lockte und beschwor. Ein Teil von ihr wollte nicht weitergehen. Es war gruselig dort gewesen. Aber ein anderer Teil von ihr wusste, dass sie Esther finden und ihr helfen musste. Bevor es zu spät war. Unter den Bäumen war es sehr dunkel und neblig. Sie zitterte. Dann lichtete sich der Nebel, und sie konnte den Weg vor sich erkennen. Rasch eilte sie voran, vorbei an mehreren Wagen, die sich in der Dunkelheit seitlich an die Foxhole Lane drängten. In ihrem Kopf formte sich das Wort Rowan . Sie lief weiter auf dem schmalen Pfad, der zum Turm führte. Es gab im Leben Zeiten, das wusste sie aus ihren Märchenbüchern, wo man genau das tun musste, wovor man sich am meisten fürchtete.
Als sie den Turm erreichte, war die Tür nicht abgeschlossen. In ihren neuen, gut geölten Angeln schwang sie mühelos auf. Summer machte sich daran, die massiven Ziegelstufen hinaufzusteigen.
In der Sicherheit des Zeltes hatten sich Judes Augen kurz geöffnet und waren dann flatternd zugefallen. Wieder sank sie in tiefen Schlaf.
Es muss nach Mitternacht gewesen sein, als Esther hörte, wie der Schlüssel unten im Schloss und anschließend der Türgriff herumgedreht wurde. Auf die Flamme der Hoffnung folgte sofort das Kribbeln der Angst, wer oder was da sein könnte. Sie flüchtete sich quer durch den Raum und presste sich eng an die Wand neben der Tür und lauschte dem Geräusch der Tritte, die langsam die Treppe hinaufstapften, lauter und lauter. Ein Mann mit einer flackernden Laterne war undeutlich im Türrahmen zu erkennen, gezackte Schatten sprangen an den Wänden rundherum auf. »Oh, Mr. Trotwood, Sie sind’s!«, keuchte sie erleichtert, als er die Laterne senkte.
Er musterte
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