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Die Karte Des Himmels

Die Karte Des Himmels

Titel: Die Karte Des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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Jagdgalgen handeln, und die Kadaver waren vermutlich als Warnung für die vorbeihuschenden Wilddiebe gedacht: Haltet euch fern, sonst ergeht es euch genauso! Ihr war speiübel, als sie an dem Galgen vorbeischlich und dann weitereilte.
    Weiter vorn drangen Sonnenstrahlen durch die Bäume und trafen auf das offene Gelände. Inzwischen musste sie fast oben auf dem Hügel angekommen sein, und vielleicht konnte sie sich dann wieder orientieren. Jude marschierte in Richtung Licht.
    Sie kniff blinzelnd die Augen zusammen, als sie die helle Lichtung betrat. Und ein paar Sekunden später sah sie den Turm.
    Verwirrt und benommen, wie sie war, hielt sie ihn zuerst für den Stamm eines riesigen Baumes. Dann erst begriff sie, dass diese Säule aus Ziegeln gemauert war. Sie beschattete die Augen mit der flachen Hand, schaute hoch und sah, dass der Turm sich weit über ihr in die Höhe streckte, bis hinauf in das Laubdach der Bäume, ungefähr so hoch wie der höchste Baum. Es war schwindelerregend. Sie machte einen Schritt auf den Turm zu und spürte, dass sich etwas in ihr Bein krallte. Keuchend vor Schmerz schaute sie hinunter. Das Sonnenlicht glänzte auf dem Ring aus Stacheldraht, der sich in ihr Fleisch bohrte. Sie hockte sich hin, um ihn herauszuziehen, und schrie auf, als das Blut rasch aus der Schnittwunde quoll.
    Jude blickte sich um und stellte fest, dass der Draht zu einem furchteinflößenden Zaun gehörte, der an dieser Stelle allerdings aufgeschnitten und zurückgebogen worden war. Es gab ein weiteres Schild, genau wie das mit der Aufschrift »Privatgelände«, das an einem der Zaunpfosten hing. »Zutritt verboten, baufällige Anlage« stand darauf. Von überall schallte ihr ein »Hau ab!« entgegen. Was für ein schrecklicher Ort, dachte Jude. Sie fummelte ein Päckchen Papiertaschentücher aus ihrer Jackentasche, presste ein Taschentuch auf die Wunde und versuchte sich zu erinnern, wann sie das letzte Mal gegen Tetanus geimpft worden war.
    Während sie darauf wartete, dass die Blutung aufhörte, entdeckte sie, dass sich nur ein paar Schritte entfernt etwas in dem Drahtzaun verfangen hatte. Sie humpelte hinüber. Es war ein Tier, und es war tot. Vielleicht ein Rehkitz, überlegte Jude, oder einer dieser kleinen Muntjaks. Ja, ein Muntjak, entschied sie, wegen der grauen Zeichnung im Gesicht, und jung musste er auch gewesen sein. In einer Zeitung hatte sie mal ein Bild dieser Tiere gesehen. Lange konnte es noch nicht tot sein, das arme Ding, denn seine Augen fingen gerade an, glasig zu werden. Sie legte einen Finger auf die Schulter des Kadavers und stellte fest, dass er noch warm war. An ihrem Finger klebte Blut, als sie ihn zurückzog. Hastig wischte sie es im Gras ab und warf einen genaueren Blick auf das tote Tier. Der Kopf hing in einem merkwürdigen Winkel herunter, und an der Seite war eine Schusswunde zu erkennen.
    Eine Welle des Zorns überflutete Jude, Zorn und Angst und Trauer. Wie war es möglich, einem zarten Geschöpf wie diesem Muntjak so etwas anzutun? Er war verwundet worden und hatte sich im Zaun verfangen, als er verängstigt und voller Schmerzen auf der Flucht gewesen war. Genau wie sie.
    Ein Geräusch ließ sie aufschauen. Ein Mann kam um den Turm herum auf sie zu. Gegen die Sonne konnte sie sein Gesicht nicht erkennen, sah aber, dass er einen Spaten schwang. Plötzlich überfiel sie eine Ahnung, welches Grauen der Muntjak durchlebt haben musste.
    Der Mann blieb stehen, als er sie bemerkte. »Was haben Sie hier zu suchen?«, herrschte er sie an.
    Jude erhob sich mit klopfendem Herzen. Die Wut und die Angst der letzten Minuten schossen wie heiße Lava in ihr hoch.
    »Was zum Teufel geht Sie das an?«, schrie sie zurück. »Und wie können Sie einem wehrlosen Tier nur so was antun? Beinahe hätten Sie auch mich angeschossen.«
    »Um Himmels willen! Was haben Sie hier zu suchen, wenn das Gelände überall als privat ausgewiesen ist? Sie sind doch wohl alt genug und müssten es besser wissen.«
    »Natürlich habe ich die Schilder gesehen, aber ich bin einen Pfad gegangen, den ich für einen öffentlichen Spazierweg hielt. Was, wenn ich ein Kind gewesen wäre? Gibt Ihnen ein Schild, auf dem ›Privatgelände‹ steht, etwa das Recht, grausam zu sein? Und dieser Jagdgalgen, das ist ... einfach nur mittelalterlich.«
    »Und Sie«, entgegnete er, »schreien Sie eigentlich immer Leute an, die Ihnen völlig unbekannt sind?« Der Mann war abscheulich. Er überging einfach, was sie gesagt hatte.
    »Ja,

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