Die Karte Des Himmels
weiterverkauft. Wir wissen noch nicht, was der neue Besitzer damit vorhat – davon abgesehen, dass er die armen alten Zigeuner loswerden will.«
»Will er das Gelände weiter als Forst bewirtschaften?«
»Das weiß ich nicht, Jude. Aber muss er es nicht ohnehin, wenn es sich um einen alten Wald handelt? Ich hoffe es jedenfalls. Es sind nur äußerst wenig wirklich ursprüngliche Orte übrig geblieben. Es gibt dort Hirsche und Dachse und seltene Vögel, wie Robert meint.«
»Was ist mit der Hütte des Jagdaufsehers?«, fragte Jude. »Die Hütte, in der Gran aufgewachsen ist. Steht sie noch?«
»Ja, die Straße hoch auf der rechten Seite. Aber sie gehört uns ebenfalls nicht mehr. In den Sechzigerjahren haben wir sie zusammen mit dem Bauernland verkauft. Und den Mann, der heute dort wohnt, kennen wir nicht.«
»Nicht Ihr George Fenton?«
»Nein, nein, der ist kein echter Jagdaufseher. George ist eher der ›Mann für alle Fälle‹. Er nimmt alle möglichen Jobs an, wohnt im Dorf und arbeitet für mehrere Leute.«
»Es ist ein unglaublicher Zufall, dass die Wurzeln meiner Familie in dieser Gegend liegen.«
»Nicht wahr?«, bekräftigte Chantal lächelnd. »Dass Robert auf Sie gestoßen ist und Sie hierher eingeladen hat, ist wirklich erstaunlich.«
»Es hätte auch sein können, dass er bei meinem Kollegen Inigo gelandet wäre«, sagte Jude. »Aber ich habe den Anruf entgegengenommen.«
»Es hat einfach geschehen sollen«, sagte Chantal und drehte die Handflächen nach oben. »Vielleicht hat Ihr Besuch irgendeinen bestimmten Zweck, von dem wir noch nichts wissen. Ich glaube tatsächlich an das Schicksal, an die Vorsehung oder wie auch immer Sie es nennen wollen. Sie auch?«
Jude schaute hinauf zur Decke und betrachtete den Zodiak. »Wenn ich hier unter den Sternbildern stehe, ist es verführerisch, Ihnen zuzustimmen. Meine Schwester würde es tun. Sie liest immer Horoskope. Früher habe ich auch mal gedacht, dass bestimmte Dinge einfach geschehen sollen, wie Sie es ausdrücken.« Sie dachte an Mark. »Aber heute kommt es mir eher so vor, als herrschte ein einziges Chaos. Es gibt nur Zufälle, nichts als Zufälle. Ich nehme an, dass ich aus diesem Grund gern in der Vergangenheit herumwühle. In der Geschichte ist man sicher. Es ist alles schon geschehen und wartet auf uns, falls wir uns auf die Suche machen.«
»Aber manchmal hat selbst die Vergangenheit die Macht, uns zu überraschen«, widersprach Chantal sanft, und Jude spürte, wie ein Angsthauch sie anwehte, federleicht.
Um vier Uhr tauchte Robert wieder auf. Seine Anwesenheit in der ovalen Bibliothek war lästig, weil er sich nicht ruhig hinsetzen und Jude ihrer Arbeit überlassen wollte, wie seine Mutter es getan hatte. Stattdessen marschierte er auf und ab, schaute ihr über die Schulter und störte sie in ihrer Konzentration.
»Was macht ein Buch wertvoll?«, fragte er irgendwann. Geduldig erklärte Jude, was es mit der Seltenheit und der Druckgeschichte auf sich hatte, dass es auf den Zustand eines Werkes ankam und auf die Marktlage – ob die Sammler immer noch an einem bestimmten Autor oder Thema interessiert waren.
»Und Sie können sich tatsächlich vorstellen, dass diese Sammlung begehrt ist?«
»Ja. Die Geschichte der Naturwissenschaften ist im Moment ein sehr beliebtes Feld, und Sie besitzen ein paar außerordentlich gut erhaltene Exemplare einiger sehr seltener ...«
»Aber einen Preis können Sie noch nicht nennen?«, unterbrach er sie.
»Ich arbeite daran«, erwiderte Jude ruhig, »es ist so, dass ...«
»Ja, natürlich, das erwähnten Sie bereits. Es ist unmöglich zu sagen, was die Sammlung tatsächlich einbringen wird. Aber die Hausnummer ...?«
»Robert, hör auf, das arme Mädchen zu schikanieren«, befahl Chantal. »Sie hat heute sehr hart gearbeitet ...«
»Das bestreite ich doch gar nicht«, beteuerte Robert eilig. »Ich hoffe doch, dass Sie zum Dinner bleiben, Jude? Mutter, das wäre doch in Ordnung?«
»Nein, das geht leider nicht«, sagte Jude rasch. »Aber vielen Dank für die Einladung. Ich habe meiner Schwester versprochen, bei ihr zu essen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich jetzt gern für heute Schluss machen. Morgen früh bin ich natürlich wieder bei Ihnen.«
Als Jude die Mauern des Hauses verlassen hatte und sich in ihren Wagen setzte, fühlte sie sich zurück in die moderne Welt gerissen. Das Gefühl verstärkte sich noch, als sie ihr Blackberry anstellte und ihre Nachrichten checkte. Zwei Anrufe
Weitere Kostenlose Bücher