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Die Karte Des Himmels

Die Karte Des Himmels

Titel: Die Karte Des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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sein. Um diese Zeit, hatte Claire gesagt, hätten die Träume angefangen. War der Besuch des Turmes nur ein Zufall, oder hatte ihr irgendetwas dort tatsächlich Angst eingejagt?
    In dieser Nacht wachte Jude auf, weil Summer irgendetwas im Schlaf vor sich hin murmelte, und lauschte angespannt. Aber das Mädchen schlief weiter, und ein paar Minuten später hatte es sich wieder beruhigt. Aber trotzdem konnte Jude nicht wieder einschlafen. Die Sorgen fraßen sich immer tiefer in sie hinein. War die Antwort in dem Turm zu finden? Vielleicht hatte sie am nächsten Morgen genügend Zeit, um noch einmal dort hinzugehen, bevor sie nach St. Alban’s fuhr. Der Entschluss, genau das zu tun, beruhigte Jude ein bisschen, und sie schlief ein.

9. Kapitel
    Als Jude einen großen Schritt über den Stacheldraht machte und auf die Lichtung im Wald trat, kam es ihr vor, als würde sie in einen magischen Bannkreis eindringen. Die Blätter filterten das frühmorgendliche Sonnenlicht, das in Streifen auf das Gras fiel. Der Tau war beinahe verschwunden, und es roch köstlich, nach Erde und Holz und Vegetation. Wieder war Jude fasziniert, dass der Turm aus dem Boden herauszuwachsen schien wie die Bäume, die ihn umgaben, denn die lockeren Steine und Ziegel rund um sein breites Fundament sahen aus wie Wurzeln, und an den Wänden rankte sich Efeu hoch.
    Das Schild mit der Aufschrift »Betreten verboten« war neben einer zerschrammten Holztür angebracht. Falls es jemals ein Schlüsselloch gegeben hatte, war es längst verrottet. Bestürzt entdeckte Jude einen eisernen Bolzen mit einem rostigen Vorhängeschloss. Sie hätte darauf kommen können, dass der Turm verschlossen war. Vielleicht hatte Euan einen Schlüssel. Frustriert ruckelte sie an dem Schloss und freute sich, als der Mechanismus aufsprang. Warum nicht ein kleines Abenteuer wagen?, schoss es ihr durch den Kopf. Rasch schaute sie sich um. Niemand war in der Nähe, der ihr vorhalten konnte, dass sie unbefugt auf das Gelände eingedrungen sei. Nichts und niemand, da war nur das Gezwitscher der Vögel in der Luft und der Wind, der durch die Blätter an den Bäumen strich.
    Der Bolzen ließ sich leicht beiseiteschieben. Doch die Tür leistete Widerstand, als Jude an ihr zog, und sie stellte fest, dass die obere Angel gebrochen war. Sie hob die Tür mit dem Bolzen an, schob sie auf und betrat schließlich den Turm.
    Sie hatte keine klare Vorstellung davon, was sie erwartete, aber sie hatte doch damit gerechnet, dass es ansprechender war als das, was sie vorfand. Der Boden drinnen bestand aus Ziegelsteinen, die in die nackte Erde eingebettet waren und ein Fischgrätmuster ergaben. Es war feucht und uneben, sodass sie im Halbdunkel herumstolperte und beinahe hinfiel. Der Geruch war grauenvoll: klamm, modrig, erdig, alt. Im Schatten war eine aus Ziegelsteinen gemauerte Treppe zu erkennen, die sich nach oben in die kalte Dunkelheit wand. Wie ein blasser Finger zeigte ein Sonnenstrahl auf die bröcklige unterste Stufe, die mit Moosflecken überzogen war. Scheppernde Geräusche drangen von oben herunter.
    »Hallo, ist da jemand?«, rief sie, ohne mit einer Antwort zu rechnen. Und sie wartete. Der Turm wartete. Es herrschte Stille. Natürlich ist da niemand, schalt sie sich selbst. Jude stützte sich mit den Händen zu beiden Seiten an den Wänden der Treppe ab und setzte zögernd einen Fuß auf die unterste Stufe. Sie hielt. Also versuchte Jude es mit der nächsten. Wenn es zu gefährlich wird, kehre ich um, sagte sie sich.
    Die Dunkelheit wurde immer undurchdringlicher, während sie höher stieg. Ihre Haut prickelte. Jude stützte sich mit den Händen auf den vor ihr liegenden Stufen ab und krabbelte wie ein Tier auf allen vieren vorwärts. Sie hatte kein Gleichgewichtsgefühl mehr, sodass sich jeder Schritt anfühlte, als würde sie rückwärtsstürzen. Sie zählte die Stufen, neun, zehn, elf. Sie waren tief genug und nicht zu hoch. Fünfzehn, sechzehn. Sie kam an einem Lichtflecken vorbei, der durch ein Fenster, schmal wie eine Schießscharte, hereinfiel. Sie spähte hinaus, aber außer Blättern, die im Licht schimmerten, konnte sie nichts erkennen. Weiter ging’s, und das Herz rutschte ihr in die Hose, als ihre Hand ins Leere griff. Ein Ziegel fehlte. Sorgfältig tastete sie mit dem Fuß um das Loch. Neunundzwanzig, dreißig. Wie war sie eigentlich auf diese wahnwitzige Idee gekommen? Neununddreißig, vierzig. Sie war nun von einem fahlen, trostlosen Licht umgeben, also musste sie fast am

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