Die Karte Des Himmels

eine Kritik des Buches gelesen, eine positive.«
    »Das freut mich zu hören«, sagte er augenzwinkernd, »aber ich bin nicht berühmt, das versichere ich Ihnen.«
    »Oh, aber Sie haben doch The Lonely Road geschrieben, nicht wahr? Ich habe das Buch geliebt!« Es handelte vom Leben in den salzigen Marschlanden Norfolks und war schön und einfühlsam geschrieben. Euans Bücher gehörten nicht zur Belletristik, sondern waren teils naturgeschichtliche Werke, teils Memoiren und vermittelten einen wundervollen Eindruck von der Gegend.
    »Ach, das haben Sie gelesen?«, sagte er und sah erfreut aus. »Wir haben damals in der Nähe von Cley gewohnt. Außerhalb der Saison war das ein schöner, ruhiger Ort, und es war herrlich, an diesem Buch zu arbeiten.«
    Jude fiel das »wir« auf, und sie erinnerte sich, dass Claire erzählt hatte, er sei geschieden. Euan wandte sich ab und murmelte, er wolle nachsehen, wohin Summer verschwunden sei. Jude stellte das Buch zurück ins Regal, schaute sich ein letztes Mal in dem spartanischen Schlafzimmer um und folgte ihm nach unten.
    Summer hatte sich bei der Hausbesichtigung gelangweilt und war in den Garten zu den Tieren gegangen. Jude und Euan beobachteten sie durch das Küchenfenster. »Ich würde Ihnen Starbrough Folly zeigen, wie versprochen«, sagte er, »aber ich möchte Summer nicht dabeihaben.«
    »Das kann ich verstehen«, sagte Jude eifrig.
    »Wegen der Schießereien, ja«, fuhr er fort. »Wie gesagt, angefangen hat das vor ein paar Wochen. Ungefähr zu der Zeit, als ich ihr den Turm von außen gezeigt habe. Meine Schwester Fiona hatte Darcey für den Nachmittag zu mir gebracht, und ich dachte, es wäre schön, wenn Summer auch mitkäme. Wir haben einen Spaziergang gemacht. Natürlich hätte ich sie nie im Turm hochsteigen lassen, aber auch von außen ist er beeindruckend. Es ist nur so, dass er den Mädchen nicht besonders gefallen hat. Sie sagten, der Ort wäre gruselig. Summers Gesicht war aschfahl.«
    »Merkwürdig. Und was hat ihr nicht gefallen? Was glauben Sie?«
    »Keine Ahnung. Starbrough Folly hat sicher eine ganz besondere Atmosphäre, aber als bedrohlich habe ich es dort nie empfunden.«
    »Haben Sie es Claire erzählt?«
    »Nein, um ehrlich zu sein, ich hab es vergessen. Als wir nach Hause kamen, waren die Kinder vollkommen in Ordnung. Also, kein Turm. Es sei denn, Sie kommen morgen noch mal vorbei?«
    »Ich wünschte, ich könnte. Aber ich muss morgen wieder zurückfahren«, sagte Jude. »Ich werde zu einer Taufe erwartet und zum dritten Mal Patin.«
    »Glückwunsch!«, sagte Euan. »Aber vielleicht besuchen Sie uns mal wieder?«
    »Das hoffe ich«, sagte Jude. »Wenn die Sache mit Starbrough Hall ins Rollen kommt, bin ich wahrscheinlich sogar ziemlich schnell wieder hier.«
    »Gut.« Es klang, als meinte er es auch so.
    Genau in diesem Moment stampfte Summer wütend herein. »Die kleine Eule hat gerade versucht, nach mir zu hacken. Gehen wir jetzt zum Strand?«
    »Ich dachte, du hättest keine Lust dazu, du drolliges Ding«, sagte Jude und untersuchte Summers vollkommen unversehrten Finger. »Aber ja, natürlich.«
    »Kommst du mit, Euan?«, fragte Summer, aber er schüttelte den Kopf.
    »Nein, ich hab ein paar Dinge zu erledigen. Mach dir eine schöne Zeit mit deiner Tante«, antwortete er.
    Jude und Summer verbrachten ein paar höchst vergnügliche Stunden am Strand von Wells-next-the-Sea. Summer freundete sich mit einem Jungen an, der mit seinen Großeltern dort war, und die Kinder spielten zusammen in einer flachen Lagune, versuchten, kleine Fische zu fangen, und bauten eine Sandburg, die sie mit Steinen verzierten.
    Jude kam es vor, als hätten der Wind am Meer und die Weite des Strandes und das Kreischen der Seevögel die Macht, ihr sämtliche Sorgen aus dem Kopf zu treiben. Caspar, Mark, die Arbeit, all das war Lichtjahre von ihr entfernt und hatte an dem weiten Strand nicht die geringste Bedeutung. Hoch über ihr wehten die Wolkenfetzen Richtung Süden und ließen einen strahlend blauen Himmel zurück. Die anschwellende Flut drang in die Lagune. Kreischend und mit gespieltem Entsetzen verließen die Kinder ihre Burg. Auf dem Weg nach Hause schlief Summer im Auto ein.
    Im Rückspiegel warf Jude einen Blick auf das friedliche Gesicht des Kindes und dachte wieder an die seltsamen Träume. Es war interessant, was Euan erzählt hatte. Dass Summer der Spaziergang vor ein paar Wochen und Starbrough Folly nicht gefallen hatten. Das musste Anfang der Ferien gewesen