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Die Karte Des Himmels

Die Karte Des Himmels

Titel: Die Karte Des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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Grans und Tamsins Versteck vage im Hinterkopf ließ sie den Blick durch den Raum wandern, aber dafür war jetzt keine Zeit. Am Mondlicht, das in einem Viereck auf den Boden fiel, war zu erkennen, dass die Dachluke geöffnet war.
    »Steigen Sie die Leiter langsam hinauf«, sagte Euan, »und passen Sie auf, dass Sie sich nicht den Kopf stoßen.«
    Jude war überrascht, dass es oben auf dem Turm so eng war – vielleicht ein dutzend Fuß im Durchmesser. Trotz der Brüstung, die ringsum auf Taillenhöhe gemauert war, spürte sie, dass ihr schwindlig wurde. Sie musste sich zwingen, von der Leiter auf die Plattform zu treten, und setzte sich auf den Boden, um sich an die Umgebung zu gewöhnen. Der Fußboden bestand wie überall aus zerbröckelnden Ziegelsteinen, und weil sie davon überzeugt war, dass der Turm in der frischen Brise leicht schwankte, wurde ihr übel. Sie schloss die Augen, aber dann wurde es noch schlimmer. Also machte sie sie wieder auf und sah, dass Euan nah neben ihr saß, aber ohne sie zu berühren, und sie besorgt anschaute. Sie konnte die Wärme seines Körpers in der Dunkelheit spüren und griff nach seinem Arm, um ins Gleichgewicht zu kommen.
    »Alles in Ordnung?«
    Sie nickte.
    »Als ich das erste Mal hier oben war, war es auch komisch. Sobald man sich daran gewöhnt hat, wird es besser. Schauen Sie nach oben!«
    Sie gehorchte und schnappte überrascht nach Luft.
    »Wir sind ja beinahe mitten unter den Sternen! So viele hab ich noch nie gesehen!«
    »Es ist noch besser, wenn der Mond verdeckt ist.«
    Früher hatte man eine Plane aus Leinen über die Plattform ziehen können, aber davon war nicht mehr übrig geblieben als ein paar stützende Ziegelsteine, sodass der Blick auf den Himmel frei war. Und auf was für einen Himmel! Hier oben über den Bäumen war es, als säßen Euan und sie unter einer funkelnden, schimmernden Kuppel.
    »Hier hat man wirklich das Gefühl, dass man sich auf einem Planeten befindet, der sich durch das Weltall bewegt«, murmelte Euan. »Besonders, wenn der Mond wie heute Nacht zeigt, dass er eine Kugel ist und keine flache Scheibe.«
    »Es ist, als ob die Sterne lebendig wären und brennen würden.«
    »Das ist auch so. Jedenfalls bei den meisten. Sie wissen vermutlich, dass wir sie eigentlich immer nur so sehen, wie sie einmal waren, weil sie Millionen Lichtjahre von uns entfernt sind. Manche gibt es vielleicht gar nicht mehr, und das, was wir sehen, sind nur Phantome von ihnen.«
    »Die Vorstellung ist so gewaltig, dass wir Menschen sie kaum fassen können«, erwiderte sie. In der kalten Luft klang ihre Stimme heiser.
    Es kam ihr vor, als würde sie das neblige Band der Galaxie, zu der die Erde gehörte, zum ersten Mal richtig sehen – die Milchstraße, die, wie sie wusste, aus Hunderten Milliarden Sternen bestand, allesamt Äonen von Lichtjahren entfernt. Gewaltige Worte wie Ewigkeit und Unendlichkeit, mit denen die Leute täglich um sich warfen, gewannen vor ihren Augen plötzlich körperliche Gestalt. In diesem Moment erinnerte sie sich, als ob es gestern gewesen wäre, an etwas, das in den Begriffen ihrer Galaxis in Wahrheit nicht mehr als der Bruchteil eines Gestern war. Sie und Mark hatten sich barfuß auf dem Schulausflug ein Versprechen gegeben, für das sie sich – menschliche Wesen, die nichts als winzige Moleküle in einem gigantischen Universum waren, am Ende als zu unbedeutend und zu kraftlos erwiesen hatten, um es jemals halten zu können. Und sie musste bei dieser Einsicht fast weinen.
    Um sich zu beruhigen, schaute sie hinunter auf die bescheidende Wirklichkeit ihrer alten Jeans und Turnschuhe und spürte plötzlich die Anwesenheit dieses anderen Menschen ganz intensiv, dieses fremden Mannes in seinem schäbigen Anorak, der still auf dem Ziegelboden neben ihr saß und sich mit den Händen auf den Knien abstützte. Eingehend betrachtete Jude diese Hände, dachte darüber nach, wie kräftig und gleichzeitig zärtlich sie aussahen, und das brachte sie wieder in die Welt zurück, die ihr vertraut war, die winzigkleine Welt, in der sie glauben durfte, dass sie wichtig war.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte er sanft. »Sie haben seit Ewigkeiten nichts mehr gesagt.«
    »Ja«, erwiderte sie, »ich glaube schon.«
    »Kommen Sie mit.« Euan kam mit einer geschmeidigen Bewegung auf die Füße, half ihr auf und schob sie hinüber zu dem Teleskop, das er auf einer Seite der Plattform auf einem Dreibeinstativ aufgestellt hatte.
    »Ist es hier sicher?«, fragte Jude

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