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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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älteres, aber noch gutes Gewand, das die Räuber verschmäht hatten. Lucretia Gonfale dagegen glänzte in geradezu pfauenhafter Pracht. Sie hatte zu Hause einige wohl gefüllte Kleidertruhen vorgefunden, so dass sie sich und ihre Töchter standesgemäß präsentieren konnte.
    Nach einem kurzen Gruß sah Giulia sich nach Vincenzo um. Er sollte sie heute zwar nicht auf der Laute begleiten, aber sie war so an seine Nähe gewöhnt, dass sie sich in seiner Gegenwart sicherer fühlte. Sie fand ihn bei dem ältesten Sohn der Familie, von dem er sich auch sein übertrieben verziertes Gewand ausgeliehen hatte. Neben ihm stand ihr Vater, der ebenfalls als Gast geladen worden war. Er hatte sich in ein neues graugrünes Wams geworfen, das mit gelber Seide gefüttert war, und trug dazu glänzende, braune Beinkleider, die wie angegossen saßen. Sichtlich zufrieden drehte er sich zu Giulia um und musterte ihre Aufmachung. »Das Wams solltest du kein zweites Mal mehr anziehen. Es steht dir nicht und spannt bereits um deinen Schultern.«
    Es war eher ihr Busen, um den es sich spannte. Giulia warf den Kopf in den Nacken. »Ich kann mir derzeit nichts Neues kaufen. Das Geld, das mir die Räuber ließen, reicht gerade mal für ein oder zwei Wochen zum Leben. Ich muss vorher etwas verdienen.«
    Sie wollte sich schon verärgert abwenden, doch seine selbstgefällige Miene ließ sie stutzen. »Ich wundere mich, dich so prächtig aufgeputzt zu sehen, Vater. Dein Gewand passt weder im Schnitt noch in der Farbe zu unserem Gastgeber.«
    Girolamo Casamonte schnaubte empört. »Du glaubst doch nicht etwa, dass ich eine geborgte Hose anziehe. Ich war gestern beim Schneider. Er hatte diese Kleider für einen Herrn von Stand gefertigt, überließ sie mir jedoch aus Gefälligkeit, weil ihm noch genug Zeit bleibt, neue Sachen für den Herrn zu nähen.«
    Giulia wusste, dass kein Schneider der Welt einem Fremden so teure Kleidung auf Kredit überlassen würde, und nahm an, dass er seinen Gastgeber angepumpt hatte. Zornig funkelte sie ihn an. »Womit hast du den Schneider bezahlt?«
    »Von was wohl? Von meinem eigenen Geld natürlich«, erklärte ihr Vater herablassend.
    »Aber die Räuber haben uns doch alles abgenommen.«
    »Das, was wir dabei hatten, schon.« Ihr Vater zwinkerte ihr vertraulich zu. »Ich hatte jedoch einen gewissen Teil unserer Einnahmen vor unserer Abreise einem zuverlässigen Bankier anvertraut und mir dafür Kreditbriefe geben lassen. Die waren im doppelten Boden meiner Kiste versteckt und sind so den Räubern entgangen. Ich bin damit gestern zu einem hiesigen Bankier gegangen und habe mir das Geld auszahlen lassen.«
    »Wie viel ist es?«, fragte Giulia mit unheilschwangerer Stimme. Ihr Vater nannte stolz die Summe und sah sich mit dem kalten Zorn seiner Tochter konfrontiert. »Wir haben hier wie Bettler Unterschlupf gefunden und leben von den Almosen anderer Leute. Dabei sind wir reich genug, um uns eine eigene Wohnung zu mieten und Monate in der Stadt leben zu können.«
    Girolamo Casamonte hob erschrocken die Hände, als müsse er einen Angriff parieren. »So viel Geld ist es nun auch wieder nicht. Rom ist im Gegensatz zu Mantua oder Urbino arg teuer.«
    Giulia ließ jedoch nicht locker. »Wir werden so rasch wie möglich umziehen. Außerdem wirst du mir einen Teil des Geldes geben, damit ich Notenblätter kaufen und Lehrer bezahlen kann. Ach ja, Vincenzo, Assumpta und Beppo bekommen ebenfalls Geld, um sie für ihre eigenen Verluste zu entschädigen.«
    »Du wirfst mit dem Geld um dich, als wäre es deines«, knurrte ihr Vater sichtlich erbost. »Es ist mein Geld. Ich habe es nämlich verdient.« Zu mehr kam Giulia jedoch nicht, denn ihre Gastgeberin schwebte mit einem holdseligen Lächeln auf sie zu. »Liebster Messer Casamonte. Es wäre mir eine Freude, wenn Ihr mit Eurem ersten Lied beginnen könntet.« Seit Lucretia Gonfale wusste, dass Giulia vor dem Herzog von Mantua aufgetreten war, behandelte sie sie mit einer fast devoten Ehrerbietung. Giulia nickte ihr kurz zu und trat zu den Musikern, die sie begleiten sollten. Die Männer grüßten höflich, aber mit einer gewissen Distanz. »Ihr habt die Liste der Lieder erhalten, die ich heute vortragen will?« Auf Giulias Frage hin nickten die Musikanten und nahmen ihre Instrumente zur Hand. »Gut. Ich beginne mit dem Werk Gabrielis.«
    Giulia wartete, bis die Musiker sich die Noten zurechtgelegt hatten, und stellte sich in Positur. Dieses Lied hatte sie so oft geübt, dass es

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