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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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sie wie ein lästiges Insekt zu beseitigen? In einem fremden Haus war dies einfacher als hier in der Hofburg. Vielleicht wollte man sie aber auch nur zu einer Ketzerin machen und sie so um ihr Seelenheil bringen. Sie schüttelte sich wie ein nasser Hund, um ihre Angst loszuwerden. Gewiss war der Herzog nur ein freundlicher, älterer Herr, der eine Vorliebe für ihren Gesang gefasst hatte und ihr die Chance geben würde, Lieder zu singen, die sie selbst auswählen durfte. Sie hatte es herzlich satt, wie eine Puppe am Faden zu agieren und nur das singen zu dürfen, was ein hochnäsiger Lakai Piccolominis oder ein überheblicher Höfling im Auftrag des Kaisers von ihr forderte. Gott hatte ihr die Sangesstimme schließlich auch deshalb gegeben, um den Menschen eine Freude zu bereiten. Bei dem Gedanken musste sie lachen. Piccolomini hatte ihr gesagt, dass ihre Stimme eine Waffe Gottes sei. Diese Tatsache zwang sie ja gerade dazu, vor den lutherischen Ketzern zu singen. Wenn die Gäste im Palais Koloban in der Mehrzahl so freundlich waren wie der Herzog, würde sie wieder in der Atmosphäre singen, die sie so liebte, und auch den in Wien bisher so schmerzlich vermissten Beifall erhalten.
    Zum ersten Mal, seit sie die Hofburg betreten hatte, wich die Schwermut von ihrem Gemüt. Geradezu beschwingt eilte sie durch die Gänge zu ihrer Kammer, um Assumpta von der unverhofften Einladung zu berichten. Beppos ersticktes Keuchen, dem ein schlimmer Hustenanfall folgte, dämpfte ihre gute Laune sofort wieder. Dem Diener schien es von Tag zu Tag schlechter zu gehen. Besorgt betrat sie die andere Kammer und fand eine in Tränen aufgelöste Assumpta vor. »Wir brauchen einen Dottore, Giulia. Beppo bekommt kaum noch Luft.«
    »Ich kümmere mich darum.« Giulia drehte auf dem Absatz um und wollte schon loslaufen, als ihr einfiel, dass sie vielleicht Geld brauchen würde. Daher kehrte sie noch einmal in ihre Kammer zurück und nahm die kleine Summe an sich, die sie unterwegs bei einem Geldwechsler in einheimische Münze eingetauscht hatte. Kurz darauf winkte sie in einem der endlosen, dunklen Korridore der Hofburg einen Bediensteten zu sich und versuchte, ihm ihr Ansinnen klar zu machen.
    Der Mann bemühte sich sichtlich, ihr mit vielen italienischen Begriffen durchsetztes gebrochenes Deutsch zu verstehen, und hob schließlich bedauernd die Hände. »Es gibt hier nur den Leibmedicus des Kaisers. Der kümmert sich aber nicht um so einfache Leute wie unsereinen. Ihr werdet wohl in die Stadt gehen und Euch dort einen Arzt suchen müssen.«
    »Kennst du einen guten Dottore?«
    »In der Stiegengasse wohnt einer, der sich ehrlich um die Kranken kümmern soll.« Der Diener beschrieb ihr den Weg und ließ sie sogar seine Worte wiederholen, damit sie sich nicht verirre. »Ich danke dir.« Giulia lächelte ihm erleichtert zu und drückte ihm ein Dreihellerstück in die Hand. Sie verließ die Hofburg durch das Michaelertor und erreichte ohne Probleme die ihr beschriebene Adresse. Es handelte sich um ein großes Gebäude mit winzigen Fenstern, dessen Erdgeschoss aus Steinen gemauert war, während die Stockwerke darüber aus dunklem Fachwerk mit Mörtelbewurf bestanden. Giulia hatte so ein Haus noch nie von nahem gesehen und stand für einen Augenblick staunend davor. Hier begriff sie erst richtig, wie weit sie Italien mit seinen Gebäuden aus warmem, hellem Sandstein hinter sich gelassen hatte.
    Ein Schild neben dem Eingang verkündete in großen Lettern, dass der hochlöbliche Medicus Filibert Scharrnagl seine Praxisräume im zweiten Obergeschoss eingerichtet hatte. Nach kurzem Zögern öffnete sie die Tür und betrat ein erstaunlich sauberes Treppenhaus, in dem es kaum nach menschlichen Ausdünstungen roch. Die Stufen der engen, steilen Treppe waren ausgetreten und knarrten so laut unter ihren Füßen, dass ihr Schritt selbst Tote erwecken musste. Als sie das gesuchte Stockwerk erreichte, brauchte sie eine Weile, bis sie im herrschenden Dämmerlicht die richtige Tür gefunden hatte, und klopfte an.
    Jemand rief ein paar deutsche Worte, die sie nicht verstand, und einen Augenblick später öffnete eine ältere stämmige Frau die Tür. Giulia konnte nicht erkennen, ob es sich um eine Hausmagd oder die Gattin des Arztes handelte, die sich zum Putzen ein altes Kleid angezogen hatte. Daher grüßte sie mit aller gebotenen Höflichkeit. »Buon giorno, Signora.«
    Die Frau hob interessiert die Augenbrauen. »Der Herr ist Italiener?«
    Giulia verneigte

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