Die Kastratin
sich noch einmal und leierte die deutschen Worte herab, die sie sich auf dem Weg hierher zurechtgelegt hatte. »Casamonte, zu Ihren Diensten. Ich hätte gerne den Dottore Scharrnagl gesprochen.«
»Mein Bruder ist gerade nicht da. Aber Ihr könnt hier im Vorraum Platz nehmen, wenn Ihr warten wollt. Er kommt sicher recht bald zurück.« Die Frau zeigte einladend auf einen Stuhl, der fast die Hälfte des schmucklosen, von fünf Türen eingefassten Flures einnahm.
Giulia dankte ihr und setzte sich, während die Frau in einem der Zimmer verschwand und dort geräuschvoll weiterarbeitete. Ihre Auskunft, dass der Arzt bald erscheinen würde, erwies sich als allzu optimistisch. Es war wohl mehr als eine Stunde vergangen, als knarzende Schritte genau vor der Wohnungstür endeten. Kurz darauf trat ein hagerer, bleichgesichtiger Mann in einem kaftanähnlichen Mantel und einer schwarzen Filzkappe auf dem Kopf ein. »Ich bin wieder da, Traudi«, rief er laut. Dann entdeckte er Giulia und musterte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Ihre nach neuester italienischer Mode gefertigte Kleidung schien ein gutes Salär zu versprechen, denn er verbeugte sich übertrieben tief. »Einen wunderschönen Tag, edler Herr. Womit kann ich Euch dienen?«
»Mein Diener ist schwer krank geworden«, erklärte ihm Giulia auf Latein, da sie hoffte, sich in dieser Sprache besser mit dem Arzt verständigen zu können. »Euer Diener?« Scharrnagls Enttäuschung war für Giulia mit Händen zu greifen. Anscheinend hatte er gehofft, sie selbst würde seinen ärztlichen Beistand benötigen. Für die Behandlung eines Dieners erhielt er höchstens ein paar Groschen, während er bei einem Edelmann auf mehrere Dukaten rechnen konnte. »Mein Diener hat sich während der Reise erkältet und hustet jetzt zum Gotterbarmen. Außerdem bekommt er kaum noch Luft.« Giulia beschrieb ihm alle Symptome von Beppos Krankheit.
Der Arzt hörte aufmerksam zu und nickte anerkennend. »Ihr habt gut beobachtet, edler Herr. Ich kann Euch eine Medizin für den Mann mitgeben. Oder ist es Euch lieber, wenn ich mitkomme und mir Euren Diener ansehe?«
»Bitte, kommt mit mir und seht Euch Beppo an.« Zur Bekräftigung ihres Wunsches zog Giulia zwei Talerstücke aus ihrer Börse und reichte sie ihm.
Die Münzen fachten den Eifer des Arztes sichtlich an. Er wirbelte in seiner Wohnung herum und kam schließlich mit einer großen Ledertasche zurück, die er sich an einem Riemen über die Schulter hing. »Ich habe alles, was ich benötige, edler Herr. Bitte geht voran und weist mir den Weg.«
Giulia nickte und lächelte ein wenig vor sich hin. Wie sie er-wartet hatte, wurde das Gesicht des Arztes vor Ehrfurcht beinahe starr, als er erkannte, wohin sie ihn führte. Hatte er ihr auf der Straße noch lautstark, so dass die Passanten ringsum es mithören konnten, von seinen Erfolgen als Arzt berichtet, wurde er in den Gängen der Hofburg still wie ein Mäuschen. Selbst die elende Kammer, in die Giulia ihn führte, schien ihn nicht zu irritieren. Giulia hatte keinen besonders guten Eindruck von dem Mann gewonnen, doch die Sorgfalt, mit der er den Kranken untersuchte, stand im krassen Gegensatz zu dem marktschreierischen Wesen des Mannes. Hier war er ganz der Arzt, der sein Bestes geben und seinem Patienten helfen wollte. Er blickte in alle Kopföffnungen, hörte Beppos Brustkorb mit einem Hörrohr ab und verabreichte ihm schließlich ein scharf riechendes Gebräu. Der Geruch allein ließ Giulias Magennerven revoltieren. Beppo schien es nach ein paar pfeifenden Atemzügen schon besser zu gehen. Der keuchende Husten beruhigte sich, und er konnte leichter Luft holen.
Während Assumpta dem Arzt mit einer Fülle überschwänglicher italienischer Worte dankte, bemerkte Giulia seine viel zu ernste Miene. Doch er rückte erst mit der Sprache heraus, als sie wieder draußen auf der Straße standen. »Ich will Euch nicht belügen, Herr Casamonte. Aber es steht nicht gut um Euren Diener. Er hat eine schlimme Entzündung der Atemwege. Wenn er nicht gut gepflegt wird, kann sich diese zu einer Lungenentzündung auswachsen, und ob er dann noch am Leben bleibt, weiß Gott allein.«
»Beppo ist ein kräftiger Mann. Er wird es schon überstehen.« Giulia sprach sich eher selbst Mut zu.
Der Arzt wirkte nachdenklich. »Wollen wir es hoffen. Betet für Euren Diener, denn das Gebet ist auf alle Fälle eine stärkere Waffe als mein Saft.«
Giulia sah ihn erstaunt an. »Aber das Medikament hat Beppo doch gut
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