Die Kastratin
offensichtlich zu allem bereit.«
Vincenzo schüttelte heftig den Kopf. »Ich will keine Frau, Giulio. Ich will dich, so wie Gott dich geschaffen und das Messer des Barbiers dich verstümmelt hat. Glaube nicht, dass es zwischen uns keine Liebe geben kann. Ich will meine Sehnsucht bei dir stillen und alles tun, um auch dir Erfüllung zu geben.« Bei den letzten Worten zog er Giulia an sich und versuchte, sie zu küssen.
Giulia schluckte. Seine Worte hatten nicht aggressiv und drängend geklungen, sondern so sanft und zärtlich, dass ihr für einen Moment ganz anders wurde. Doch was er von ihr verlangte, was er sich vorstellte, erfüllte sie mit Abscheu. Das war schmutzige Sodomie, nichts anderes. Sie stieß Vincenzo zurück und funkelte ihn mit zornglühenden Augen an. »Du willst mich doch nur benutzen wie ein Tier! Aber das mache ich nicht mit. Geh weg, du widerst mich an. Ich will dich nie mehr sehen!«
Vincenzo wollte Giulio seiner Liebe versichern und ihm sagen, dass er nichts von ihm fordern würde, was er nicht freiwillig zu geben bereit wäre. Doch ein Blick in das Gesicht des Kastraten ließ ihn jede Hoffnung verlieren. Seine Schultern sanken herab, und Tränen traten in seine Augen. »Ich dachte, du wärst mein Freund, Giulio, und würdest mehr für mich empfinden als für einen bloßen Weggefährten. Stattdessen wirfst du mir meine Treue und meine Zuneigung vor die Füße, als wäre ich plötzlich vom Aussatz befallen. Nun, so lebe wegen mir weiter dein kleines, liebeleeres Leben. Aber von jetzt an wirst du es ohne mich leben müssen. Du hast mich das letzte Mal von dir gestoßen.«
In seiner Stimme mischte sich Trauer mit heißer Wut über die schroffe Zurückweisung, und der genossene Wein ließ Vincenzos Worte melodramatisch klingen. Er wandte Giulia abrupt den Rücken zu und verließ wortlos das Zimmer.
Draußen blieb er stehen und ballte die Fäuste. Er war bereit gewesen, Giulio Casamonte all seine Liebe und sein ganzes Leben zu weihen, und war in einer Art und Weise abgewiesen worden, die er normalerweise nicht hinzunehmen bereit gewesen wäre. Für einen Augenblick erwog er, zurückzukehren und dem Kastraten seine ganze Verachtung ins Gesicht zu schleudern. Doch ihm war klar, dass er Giulio noch nicht einmal jetzt wehtun konnte. Eher würde er sich ihm zu Füßen werfen, sich wie ein Wurm krümmen und um seine Zuneigung flehen. Dagegen aber bäumte sich sein Stolz auf. Er machte ein paar unentschlossene Schritte und starrte seine eigene Zimmertür an.
Nein, er konnte hier nicht bleiben. Keine Nacht, ja keinen weiteren Augenblick wollte er unter demselben Dach wie Giulio verbringen. Er brachte es nicht einmal mehr fertig, sein Zimmer zu betreten und wenigstens einen Teil seiner Habseligkeiten mitzunehmen, so brannte die Schmach in ihm. Er stürmte die Treppe hinab, klopfte den Torwächter heraus und befahl ihm barsch, ihn ins Freie zu lassen. »Ihr könnt wohl nicht schlafen?«, fragte der Mann sanftmütig, während er ihm die Hoftür öffnete. »Es liegt sicher am Vollmond. Da liege ich auch öfter wach. Wenn Ihr wieder hereinkommen wollt, klopft ruhig. Ich mache Euch dann auf.«
Als er keine Antwort bekam, zuckte er nur mit den Schultern. Es gab nun einmal recht eigenartige Reisende. Wenn der Herr sich einen Teil der Nacht um die Ohren schlagen wollte, war das nicht seine Sache. Hauptsache, er gab ihm bei der Rückkehr ein gutes Trinkgeld.
Vincenzo kehrte jedoch nicht in die Herberge zurück, sondern wanderte die Straße weiter Richtung Süden. Der helle Mond erleichterte ihm den Weg. Einige Zeit später, als das Wasser des Gardasees zu seiner Rechten den Mond und die Sterne spiegelte, bog er von der Hauptstraße ab. Er hatte kein Ziel, aber er wollte verhindern, dass Giulio Casamonte ihn am nächsten Tag mit der Kutsche überholte. In diesen Stunden schwor er sich, nichts mehr mit dem Kastraten zu tun haben zu wollen.
II .
G iulia machte in dieser Nacht kein Auge zu. Ihr anfängliches Entsetzen über Vincenzos Vorschlag, mit ihr in Sodomie zu verkehren, machte allmählich Gewissensbissen Platz. Sie warf sich vor, dass sie allein die Schuld an dieser scheußlichen Szene trug. Längst hätte sie ihm sagen müssen, wer sie in Wirklichkeit war. Immerhin kannte sie Vincenzo nun über Jahre und war lange Zeit mit ihm zusammen gereist. In all der Zeit war er ein zuverlässiger, hilfsbereiter Begleiter gewesen, der sich um alle Notwendigkeiten des Lebens gekümmert hatte. So einen Menschen
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