Die Kastratin
weder ihrer Figur noch ihrem Teint besonders schmeichelte. Sie hatte jedoch wundervolle, rotblonde Haare, die zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmt waren, und ein angenehmes Gesicht. Bei ihrer Begleiterin handelte es sich um ein Mädchen von höchstens achtzehn Jahren, das mit seinem cremefarbenen Kleid und dem weißen Seidenhäubchen noch recht kindlich und unerfahren wirkte.
Im ersten Augenblick wusste Giulia nicht zu sagen, wer von den beiden Paolos Angebetete war. Ihr Gastgeber half ihr jedoch unwissentlich aus diesem Dilemma. »Meine Schwester Fabiola Brazzone und ihre Tochter Isabella«, stellte er ihr die Frauen vor.
Giulia deutete eine Verbeugung an und fragte sich, wie sie Isabella unbemerkt das Briefchen zustecken konnte. Im Augenblick ging es nicht, denn ihr Gastgeber bat seine Freunde um Aufmerksamkeit. »Signori, ich freue mich, nach dem, sagen wir ruhig, etwas gepfefferten Beitrag unseres verehrten Vincenzo de la Torre nun einen Kunstgenuss besonderer Güte ankündigen zu können. Es singt der zwar noch junge, aber bereits sehr bekannte Kastrat Giulio Casamonte.«
Giulia schloss für einen Moment die Augen, um ihre zitternden Nerven zu beruhigen. Sie hörte, wie ihr Gastgeber beiseite trat und es im Saal ruhig wurde. Nur vereinzelt war noch ein Räuspern zu hören. Im letzten Augenblick stieß sie die Reihenfolge der Lieder um, die sie singen wollte, und begann mit einem fröhlichen Chanson, dessen Melodie ein wenig der eben gehörten entsprach, ohne jedoch dessen bissige Schärfe zu besitzen.
Freundlicher Beifall ertönte, als sie damit fertig war. Cesare Rioli nickte mit dem Kopf, als müsse er sich selbst bestätigen, mit ihrem Engagement keinen Fehler begangen zu haben. Auch die beiden Damen klatschten in die Hände. Giulia verbeugte sich noch einmal in ihre Richtung.
Rioli sprach unterdessen kurz mit einem seiner Gäste und kam dann auf Giulia zu. »Hättet Ihr vielleicht die Güte, jenen berühmten Choral von Constanzo Porta zu singen, den dieser im letzten Jahr für den Kastraten von San Marco geschrieben hat?«
Giulia begriff, dass er sie damit auf die Probe stellen wollte. Sie kannte das Werk und hatte es auch schon eingeübt. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob sie es auf Anhieb fehlerfrei zum Besten geben konnte. Ein Zurückweichen war jedoch unmöglich. Daher wandte sie sich mit freundlicher Miene an ihren Gastgeber. »Ich bin Euch gerne zu Diensten.« Da sie sich bis jetzt wesentlich mehr mit kirchlicher Musik befasst hatte als mit weltlichen Themen, gelang es ihr, das Werk des berühmten Franziskanermönchs ohne einen falschen Ton vorzutragen.
Diesmal füllte der Applaus den Saal mindestens ebenso wie ihre Stimme. Rioli überschlug sich fast vor Lob, und auch die meisten Anwesenden priesen Giulias Stimme. Nur Vincenzo de la Torre schloss sich dem allgemeinen Jubel nicht an. Er kam auf Giulia zu und schüttelte missbilligend den Kopf. »Ihr habt ja recht hübsch gesungen, Signore Casamonte. Aber ich habe diesen Choral schon von dem großen Belloni gehört, und da klang es doch ein ganzes Stück besser. Ihr müsstet es eine Tonlage höher, also viel fraulicher singen und vor allem nicht so hektisch. Ich fürchte, Euch fehlt noch ein ganzes Stück gediegener Ausbildung.«
Giulia war im ersten Augenblick über diese Kritik empört und wollte auffahren. Doch da trat Cesare Rioli an ihre Seite und unterbrach den scharfzüngigen Kritiker. »Vincenzo, es reicht. Es war schon schlimm genug, sich deine Lästerungen gegen den Bischof von Neri anhören zu müssen. Ich lasse jedoch nicht zu, dass du meine Gäste unter meinem Dach beleidigst.«
»Ist ein Kastrat ein Gast oder jemand, der für sein Honorar eine Leistung zu erbringen hat?«, fragte Vincenzo barsch.
»Das ist nicht deine Sache und nicht dein Geld. Ich habe genug von deinem Benehmen und wäre dir dankbar, wenn du jetzt mein Haus verlassen würdest, ehe du unter meinem Dach noch weitere Leute kränkst.« Rioli hielt seine Stimme in der Gewalt, so dass nur wenige der Umstehenden Zeuge dieser Abkanzlung wurden.
Vincenzo drehte sich achselzuckend um und strebte dem Ausgang zu. Da fasste Paolo Gonzaga ihn am Ärmel und sah den Gastgeber kopfschüttelnd an. »Ihr seid zu streng mit unserem Freund Vincenzo, Don Cesare. Nur wegen eines Spottverses setzt man doch kein Mitglied der Familie de la Torre vor die Tür.« Er hatte so laut gesprochen, dass ein paar andere junge Männer die Köpfe hoben und nach vorne drängten, um sich
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