Die Kastratin
ebenfalls für Vincenzo zu verwenden.
Giulia war für einen Augenblick vergessen. Neugierig verfolgte sie das Streitgespräch und bekam mit, wie Paolo ihr mit seinen Blicken ein Zeichen gab. Jetzt begriff sie, dass er diese Ablenkung in Szene gesetzt hatte, um ihr den Weg zu Isabella zu ebnen. Sie verließ den Kreis der Diskutierenden und trat auf die junge Dame zu. Da sich deren Mutter mit einem älteren Mann im Ordenskleid der Franziskaner unterhielt, war es für sie ein Leichtes, sich unbemerkt vor Isabella zu verbeugen und ihr das Billett in die Hand zu drücken. »Es ist eine Botschaft von Paolo Gonzaga. Ihr sollt ihm über mich Eure Antwort zukommen lassen.« Obwohl sie flüsterte, hatte sie das Gefühl, so laut zu reden, dass es alle hören konnten. Schnell entfernte sie sich wieder aus Isabellas Nähe und schloss sich der Gruppe an, die immer noch erregt debattierte.
Einige ältere Gäste hatten sich auf Riolis Seite geschlagen und kritisierten wortgewaltig die Aufsässigkeit der heutigen Jugend, die vor nichts und niemandem mehr Halt machte. Unterstützt von seinen Freunden verteidigte Paolo jedoch geschickt Vincenzos Standpunkt und warf mit sichtlichem Vergnügen immer neue Gründe ein, die für diesen sprachen. Es war schließlich Vincenzo selbst, der allem ein Ende bereitete, indem er erklärte, er sei nun genug beleidigt worden, und ohne Gruß verschwand.
Rioli atmete sichtlich auf und bat seine Gäste zu Tisch. Giulia fühlte jetzt ebenfalls Durst, und sie hätte gerne etwas zu sich genommen. Auf sie erstreckte sich die Einladung jedoch nicht. Irgendwie hatte Vincenzo Recht, dachte sie mit einer gewissen Bitterkeit. Sie war nicht als Gast hierher geholt worden, sondern als eine Person, die eine Leistung zu erbringen hatte. Sie war kurz davor, Cesare Rioli wegen ihrer Gage anzusprechen, als dieser sich zu ihr herumdrehte. »Ich bin sehr zufrieden mit Euch, Casamonte. Mein Intendant wird Euch bezahlen. Sollte ich wieder das Bedürfnis empfinden, Eurer Stimme zu lauschen, werde ich es Euch wissen lassen.«
Giulia begriff, dass sie gehen konnte, und verbeugte sich höflich, obwohl ihr eher zum Weinen zumute war. Rioli hatte sich jedoch schon abgewandt und folgte seinen Gästen in das Speisezimmer, aus dem verführerische Düfte herausdrangen. Giulia hörte ihren Magen knurren und hatte nur noch den Wunsch, so schnell wie möglich in ihre Unterkunft zu kommen. »Einen Moment bitte.« Isabella sah sich hastig um und huschte auf Giulia zu. »Sagt Paolo, dass er mich morgen früh um acht in der Kapelle San Vitale erwarten soll.«
Giulia verbeugte sich wortlos. Diese vornehmen Festlichkeiten schienen ihr um ein Vielfaches anstrengender zu sein als eine gesungene Messe in der Kirche. Als sie den Diener vor der Tür bitten wollte, sie zum Intendanten zu bringen, tauchte Paolo lautlos neben ihr auf und bedeutete dem Lakaien, sich zu entfernen. »Nun, was hat Isabella gesagt?«
»Morgen früh um acht in der Kapelle San Vitale«, flüsterte Giulia ihm zu. »Jetzt müsst Ihr mir aber zeigen, wo ich den Intendanten finde.«
Paolo grinste und wies auf eine Tür, vor der ein Mann in einem rostfarbenen Wams und dunkelbraunen Strumpfhosen auf sie wartete. Als Giulia auf ihn zukam, streckte er ihr mit zwei Fingern einen Lederbeutel entgegen und ließ ihn in ihre Hand fallen. Er hatte seine Miene recht gut in der Gewalt, aber Giulia spürte seinen Abscheu.
Giulia hatte schon mehrfach erlebt, dass Männer jede Berührung mit ihr vermieden, und fragte sich nach dem Grund. Selbst Paolo, der bis jetzt am freundlichsten zu ihr gewesen war, hatte sie noch kein einziges Mal angefasst. Sie war sich jedoch sicher, dass er am nächsten Morgen bei Isabella Brazzone weitaus weniger zurückhaltend sein würde. Der Gedanke an die Zärtlichkeiten, die diese beiden miteinander tauschen mochten, tat ihr weh. Sie sagte sich, dass sie sich nicht verrückt machen durfte, und beschloss, nicht mehr an den jungen Adligen zu denken. Das gelang ihr recht gut, denn auf dem Heimweg dachte sie mehr an Vincenzo de la Torre und dessen Kritik als an Paolo. Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie den Porta-Choral zwar korrekt, aber ohne große Innigkeit vorgetragen hatte. Doch besser hatte ihr Vater es sie nicht gelehrt. Also würde sie selbst an sich arbeiten müssen.
Als Giulia und Beppo in die Herberge zurückkamen, saß Girolamo Casamonte brütend an einem Tisch in der Schankstube und trank Wein aus einem Tonbecher. Bei ihrem
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