Die Kastratin
Pack erlebt wie diese vier. Sie taten so, als wären sie die Krone der Sangeskunst und sie, Giulio Casamonte, ein Wurm, der sich anmaßte, neben ihnen stehen zu wollen. Dabei war es Coelia Morris Wille, der sie hier zusammengerufen hatte, und nicht der ihre.
Sie sah ihre Gastgeberin fragend an. Diese winkte begütigend und wies auf ein Album mit Notenblättern, das vor ihr auf einem kleinen Tisch lag. »Ich wünsche, dass dieser fünfstimmige Choral zum Namenstag meines Bruders von Euch gesungen wird. Mein Verwandter, der Herzog, wird zwar nicht persönlich erscheinen, hat mir jedoch jede Hilfe zugesagt.«
Die Sänger wussten nicht, ob dies der Wahrheit entsprach, da Guglielmo Gonzaga seinen Verwandten wenig Neigung entgegenbrachte. Andererseits war er ein großer Kunstliebhaber und konnte Coelia Morri durchaus seine Unterstützung versprochen haben. Zudem würde die Dame sich nicht lumpen lassen. Der Herzog war zu seinen Angestellten selten großzügig, und so konnten sie es sich nicht leisten, einen guten Nebenverdienst leichter Hand auszuschlagen. Es gefiel ihnen zwar nicht, mit einem Kastraten singen zu müssen, der die Aufmerksamkeit der Gäste gewiss auf sich ziehen würde, aber sie mussten wohl gute Miene zu diesem Spiel machen.
Der Tenor Cuscio lächelte böse vor sich hin. Dieser Missgeburt konnte man ja schon bei den Proben das Leben zur Hölle machen, dachte er und nickte seinen Kollegen aufmunternd zu. »Wir fühlen uns geehrt, Signora. Wenn Ihr erlaubt, würden wir drei Übungstage vorschlagen, da wir uns erst ein Bild von dem Können dieses Kastraten machen müssen.«
»Drei Proben?«, fragte Arelli verwundert.
Cuscio zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Darunter geht es nun einmal nicht. Oder wollt Ihr Euch wegen des Verschnittenen blamieren? Denkt doch nur, wenn so etwas Seiner Gnaden, dem Herzog zu Ohren kommt.«
Zampa schien nicht zu erkennen, auf was sein Kollege hinauswollte. »Der kümmert sich doch kaum um das Geschwätz in der Stadt.«
»Verdammt, sei nicht so begriffsstutzig«, raunte Cuscio ihm zu. »Wir werden dieses Kerlchen, das nie ein Mann werden wird, bei den Proben so fertig machen, dass es nicht in der Lage sein wird, bei dem Fest mit uns zu singen.«
»Du hast einen klugen Kopf auf den Schultern, Silvio«, lobte ihn sein Freund.
Auch wenn Giulia trotz ihres außergewöhnlich scharfen Gehörs zu weit abseits stand, um etwas von dem Geflüster aufzuschnappen, so begriff sie deutlich, dass die vier Hofsänger ihr feindselig gesinnt waren. Ihr gefielen die Blicke nicht, mit denen die vier sie bedachten, doch sie konnte Coelia Morris Auftrag nicht ablehnen, ohne sie und ihre ganze Familie zu beleidigen. »Ich fühle mich sehr geehrt«, sagte sie zu der Frau und fand, dass sie selten eine schlimmere Lüge ausgesprochen hatte.
Wie schlimm es werden sollte, wurde ihr am nächsten Tag beinahe schmerzhaft klar, als sie sich mit den Sängern in einem Raum des Palazzos zur Probe traf. Coelia Morri war nicht anwesend, und die vier Sänger ließen ihrem Unmut freien Lauf. »Da kommt ja die Missgeburt«, wurde Giulia von Arelli begrüßt.
Zampa lachte höhnisch. »Na, wie fühlt man sich, wenn man zwischen den Beinen ein hübsches Stück leichter geworden ist?«
»Ein hübsches Stück. Ich würde sagen, das ist das entscheidende Stück«, krähte der Tenor Cuscio fröhlich hinaus.
Giulia sah sie freundlich lächelnd an und grüßte mit einer knappen Verbeugung. »Es macht die Stimme reiner und sorgt dafür, dass einem keine schlechten Säfte zu Kopf steigen.«
Sie hatte auf den ersten Blick erkannt, dass sie sich von den vier Männern nicht einschüchtern lassen durfte. Die verärgerten Gesichter zeigten ihr, dass die erste Runde an sie gegangen war. Doch den Mienen nach schienen die vier bereits zu überlegen, wie sie ihren Feind das nächste Mal besser treffen konnten.
Giulia wollte sich durch die unfreundliche Haltung der Hofsänger nicht aus der Fassung bringen lassen. Daher nahm sie die Notenblätter zur Hand und studierte die ersten Zeilen. Der Choral stammte von Constanzo Festa, dem Komponisten des Tedeums, und stellte an alle Sänger die höchsten Anforderungen. Es war bereits ein älteres Werk, das ihr Vater in seiner Jugend studiert und nun an sie weitergegeben hatte. Nach kurzer Zeit bemerkte Giulia mit einer leichten Schadenfreude, dass die vier sich mit dem Choral bei weitem nicht so leicht taten wie sie.
Trotzdem wurde die Probe für sie zur Qual. Die Hofsänger
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