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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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kämpferisch. Sie trat neben das Bett und zog das Laken mit einem raschen Griff ab. Danach prüfte sie die Oberdecke, ob diese ebenfalls etwas abbekommen hatte, und streckte zuletzt die Hand aus. »Gib mir dein Hemd. Ich werde es auftrennen und Binden daraus machen, da ich es nicht waschen kann, ohne Aufsehen zu erregen. In dieses enge Ding passe ich nämlich wirklich nicht mehr hinein.«
    »Was willst du tun?«, fragte Giulia verwirrt. »Dein Laken mit dem meinen vertauschen. Sollen die Wirtsleute ruhig glauben, ich hätte meine Tage. Ich muss nur aufpassen, dass sie nichts merken, wenn es bei mir so weit ist. Es wäre doch arg auffällig, wenn ich innerhalb von zwei Wochen ebenso oft bluten würde.« Sie lächelte Giulia aufmunternd zu und verließ dann das Zimmer.
    Giulia schob den Riegel vor und wartete direkt neben der Tür, bis Assumpta zurückkehrte. Für ihre überreizten Nerven blieb die alte Dienerin viel zu lange aus, und sie begann zu frieren. Schließlich klopfte es, und Assumpta bat leise, ihr aufzumachen.
    Sie stellte ihr ein kleines Holzschaff hin und reichte ihr einen Lappen. »Das Wasser ist leider kalt.«
    »Ich werde nicht daran sterben. Zu Hause in Saletto hatten wir meist auch nur kaltes Wasser.«
    Während das Mädchen sich wusch, überzog die Dienerin das Bett neu und legte ihr Tagesgewand und die Kleidung für den abendlichen Auftritt bereit. Zuletzt nahm sie das Schaff und den mittlerweile gefärbten Lappen und brachte beides heimlich in ihr Zimmer. Kurze Zeit später hörte Giulia sie die Treppe hinabsteigen und mit der Wirtin reden. Sekunden später scholl deren keifende Stimme hoch. »Was? Du hast eines meiner besten Laken ruiniert? Du bist eine alte Schlampe, die besser unter den Brücken schlafen sollte. Aber ich sage dir, ich werde deinem feinen Herrn das Laken auf die Rechnung schreiben.«
    Es dauerte eine ganze Weile, bis die Wirtin ihre Schimpfkanonade beendete und Assumpta aus ihren Klauen entließ. Giulia schüttelte sich bei den ordinären Ausdrücken, welche die alte Vettel dabei verwendete, und schämte sich fürchterlich, weil Assumpta ihretwegen so gescholten wurde. Gleichzeitig war sie ihrer Dienerin dankbar für die Rettung aus dieser mehr als brenzligen Situation. Der heutige Tag hatte ihr gezeigt, dass sie an mehr denken musste als immer nur an das nächste Engagement. In Gedanken zählte sie vier Wochen hinzu und fand heraus, dass sie am Festtag des heiligen Gennaro wieder Acht geben musste. Sie beschloss, sich noch einmal herzlich bei Assumpta zu bedanken und ihr den Termin ihrer nächsten Blutung zu nennen, damit sie in Zukunft beide darauf achten konnten.
    Für einen Augenblick kam ihr ihr Vater in den Sinn. Wahrscheinlich ahnte er noch nicht einmal, was er ihr mit dieser schrecklichen Maskerade angetan hatte. Aber selbst wenn sie es ihm sagte, würde es ihn nicht interessieren. In gewisser Weise erkannte sie ihn kaum wieder. Er hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem zwar armen, aber fröhlichen Kapellmeister des Grafen von Saletto. Jetzt gierte er in einer Weise nach dem von ihr verdienten Geld, dass es sie anwiderte. Sie konnte ihn einfach nicht mehr so achten wie früher und war deswegen sehr traurig. Irgendwie aber hoffte sie immer noch, dass jene glückliche Zeit, in denen sie ein Herz und eine Seele gewesen waren, eines Tages zurückkommen würde.

IX .
    G iulia fühlte sich wegen ihrer Periode so schlecht, dass sie am liebsten in ihrem Zimmer geblieben wäre. Doch ausgerechnet für heute hatte man sie als Hauptattraktion zu einem großen Fest bestellt. Es sollte so ähnlich wie jenes bei Cesare Rioli verlaufen. Einige Edelleute würden auf der Laute und der Flöte spielen und selbstverfasste Lieder zum Besten geben, bevor sie selbst als Hauptattraktion in Erscheinung treten würde. Im Normalfall liebte Giulia solche Veranstaltungen, da sie dabei eine Zeit lang im Hintergrund bleiben und die anderen beobachten konnte. Heute hätte sie jedoch liebend gerne darauf verzichtet.
    Da die Feier in einem wenige Meilen vor der Stadt gelegenen Landhaus stattfand, schickte ihr Auftraggeber großzügigerweise einen vierspännigen Wagen, der sie und ihren Vater am späten Nachmittag abholte. Girolamo Casamonte verschlang den wappengeschmückten Kutschenschlag und die livrierten Diener mit den Augen und warf sich in die Brust, als wäre er fast schon ebenso bedeutend wie Graf Gisiberto von Saletto.
    Bei der Ankunft auf dem Gut erwartete ihn jedoch eine herbe Enttäuschung,

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