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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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denn man wies ihm kurzerhand die Kammer eines Stallknechts an, während Giulia in die Gesellschaftsräume geführt wurde. Sie hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, allein aufzutreten, und ihre Unsicherheit größtenteils abgelegt. Ein gewisses Lampenfieber konnte sie jedoch auch heute nicht verbergen. Da sie sich schmutzig und unrein fühlte, war sie diesmal froh um den Abstand, den die Männer ihr gegenüber einhielten.
    Der Hausherr, ein kleiner, dicklicher Kaufmann, der sich Titel und Wappen wohl mehr erkauft als verdient hatte, begrüßte sie jovial und stellte ihr seine Nichte und seine beiden Töchter vor. Die drei Mädchen sahen in ihren dunkelblauen, lindgrünen und karmesinroten Roben sehr hübsch aus. Giulia wunderte sich fast, dass Paolo sie heute nicht darum bat, den Postillon d’Amour für ihn zu spielen, und sah sich nach ihm um. Er stand mit düster brütendem Gesichtsausdruck etwas abseits von den übrigen Gästen und schien den Fußboden zu betrachten.
    Giulia hatte jedoch keine Zeit, sich Gedanken zu machen, welche Sorgen Paolo plagen mochten, denn eine der jungen Frauen setzte sich jetzt vor ein Virginal und schlug prüfend die Tasten an, während die beiden anderen Laute und Viola zur Hand nahmen. Giulia hatte bis jetzt noch keine Frau gesehen, die vor anderen Leuten musizierte. Aber sie hatte schon davon gehört, dass einige Damen aus hohen Adelshäusern im Familienkreis Instrumente spielen und recht hübsch singen sollten. Dennoch wunderte sie sich darüber, dass die Töchter und die Nichte ihres heutigen Gastgebers fremden Menschen ihre Kunst vorführen wollten. Gleichzeitig stiegen wieder die alten Ängste in ihr auf. Wenn die drei Damen wirklich singen sollten, musste doch der eine oder andere der Gäste ihre eigene Stimme als die einer Frau erkennen.
    Sie schob sich in den Hintergrund, kühlte ihre heiße Stirn an einer Marmorsäule und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Vielleicht sollte sie sich mit einer Erkältung, einem rauen Hals heraus reden, überlegte sie, als die drei jungen Damen ihren Vortrag begannen. Sie spielten wirklich ausgezeichnet und hatten samtweiche, schmeichelnde Stimmen. Giulia merkte jedoch sofort, dass sie eine Art von Musik vortrugen, die für ihre wenig geschulten Kehlen geeignet war. In diesem Augenblick war sie ihrem Vater für das harte Training dankbar, durch das ihre Stimme immer und immer wieder geschliffen worden war. Keine der drei Frauen hätte es vermocht, die Solostimme in einer Palestrina-Messe zu singen, geschweige denn den Choral von Porta.
    Um einiges ruhiger geworden, vermochte Giulia den Sängerinnen nach ihrem Vortrag berechtigten Beifall zu spenden. Als man sie dann selbst bat, die Gäste zu unterhalten, trat sie mit einem verbindlichen Lächeln auf die Virginalspielerin zu. »Buon giorno, Signorina. Erlaubt mir eine Frage. Kennt Ihr das Lied von Albert und Mirabelle, das aus der Feder von Nicolas Gombert stammt?«
    Die junge Frau nickte erfreut. »Si, Signore Casamonte. Wenn Ihr es wünscht, werde ich meine Dienerin schicken, damit sie mir die Noten holt.«
    Während sie auf die Noten warteten, trat Paolo Gonzaga nach vorne. »Wollt Ihr das Lied in seiner Originalsprache oder auf Italienisch singen, Signore Casamonte?«
    Giulia sah in seinen Augen ein eigenartiges Licht flackern. Sie konnte sich nicht vorstellen, weshalb ausgerechnet er auf die Idee kam, ihre Sprachkenntnisse zu erforschen. Doch wenn er glaubte, sie würde einen Rückzieher machen, sollte er sich täuschen. Sie hatte von ihrem Vater ein halbwegs brauchbares Latein und etliche französische Wörter und Ausdrücke gelernt. Es reichte zwar nicht aus, ihr unbekannte französische Texte zu lesen. Dieses Chanson gehörte jedoch zu ihren Lieblingsliedern, und sie hatte ihren Vater vor einem Jahr so lange bedrängt, bis er ihr einen französischen Studenten in die Herberge gebracht hatte, in der sie damals wohnten, damit sie es auch in Gomberts Muttersprache lernen konnte.
    Jetzt war sie froh darüber. Gab ihr ihre damalige Hartnäckigkeit doch die Möglichkeit, den Zuhörern etwas Besonderes zu bieten. Auf Paolo Gonzagas Frage ging sie gar nicht erst ein. Sie würde sie durch ihren Vortrag beantworten. Ungeduldig wartete sie, bis die Dienerin die Noten gebracht hatte und die Virginalspielerin bereit war. Da sie sich so weit wie möglich von den drei Sängerinnen abheben wollte, setzte sie alle ihre Fähigkeiten ein. Trotz ihrer Konzentration nahm sie die Verwunderung und die

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