Die Kastratin
Hände über dem Kopf zusammen, denn so vornehm hatten sie noch nie gewohnt, wie sie fast ehrfürchtig zugaben.
Giulia war hingegen nicht ganz so glücklich über diese Pracht und wandte sich besorgt an ihren Vater. »Ist das Lamm nicht viel zu teuer für uns?«
Girolamo Casamonte winkte lachend ab. »Nicht die Spur. Mit dem Geld, das du mit dem Singen verdienst, könnten wir uns sogar eine eigene Wohnung in einem der Häuser hier leisten. Ich ziehe aber diese Herberge vor, weil man hier nur die Treppe hinabsteigen muss, um Essen und Wein zu erhalten.«
»Wenn ich kochen würde, käme eine eigene Wohnung uns viel billiger«, erklärte Assumpta eifrig. Girolamo Casamonte hob abwehrend die Hände. »Der Koch des Goldenen Lamms ist für seine Künste berühmt. Hier kommen selbst die angesehensten Leute her, um zu speisen. Warum soll ich Bauernmus essen, wenn ich gebratene Kapaune und gefüllte Karpfen haben kann?«
Mit diesen Worten überließ er es Giulia und dem Dienerpaar, die Kisten und Truhen auszupacken und ihre drei Zimmer wohnlich einzurichten, und stieg ins Erdgeschoss hinab, wo es mehrere Gasträume gab, die selbst einem verwöhnten Besucher viele Annehmlichkeiten boten.
Giulia hörte ihren Vater nach Wein rufen und zuckte mit den Schultern. Ihr gefiel es nicht, dass er so viel trank, doch sie konnte ihn nicht daran hindern. Sie hoffte nur, dass er auch im Rausch seine Zunge in der Gewalt hatte und nicht aus Versehen ausposaunte, dass sie kein richtiger Kastrat, sondern eine junge Frau war.
Assumpta, der sie ihr Leid klagte, zog sie an sich und beruhigte sie leise. »Mach dir da mal keine Sorgen, mein Kätzchen. Dein Vater hat längst vergessen, dass du als Mädchen geboren wurdest. Außerdem liebt er das Geld noch mehr als den Wein und wird sicher nicht seine einzige Einnahmequelle aufs Spiel setzen.«
Giulia konnte nur hoffen, dass die Dienerin Recht behielt. Im Moment sprudelten die Einnahmen recht munter, und sie konnte ihrem Vater fast jeden Tag einen vollen Beutel überreichen. Auch wenn nicht alle ihre Auftraggeber mit Gold bezahlten, so verdiente sie mit einem einzigen Auftritt mehr als ein einfacher Handwerker in einem ganzen Jahr.
Ihr Vater war so zufrieden wie schon lange nicht mehr. Er kümmerte sich jedoch kaum noch um sie, sondern ging allein aus oder saß in einem der Privatsalons des Gasthauses, um Wein zu trinken. Giulia ärgerte sich nicht wenig darüber. Vincenzo de la Torres Kritik nagte noch immer an ihr, und sie spürte selbst, dass sie sich noch weiter ausbilden musste, wenn ihre Stimme mit der eines Belloni oder eines anderen berühmten Kastratensängers konkurrieren sollte.
Da ihre Geduld schwand, vergaß sie den ihrem Vater gegenüber gebotenen Respekt und machte ihm massive Vorhaltungen. Dieser reagierte jedoch völlig verständnislos. Alles, was er selbst konnte, hatte er ihr beigebracht, und er war der festen Überzeugung, dass es vollkommen ausreichte. Geblendet von der vornehmen Welt, die er am Rande mitbekam, zog er aus einigen Bemerkungen Giulias seine eigenen Schlüsse und fand, dass seine äußere Erscheinung einer kräftigen Auffrischung durch Kleider nach neuester Mode bedurfte. Dabei wollte er auch Giulias Aussehen verbessern, denn ein Giulio Casamonte konnte unmöglich immer im selben Wams auftreten, ohne dass man in höheren Kreisen die Nasen rümpfte.
Wie sehr sich ihr Vater bereits daran gewöhnt hatte, sie als Kastraten zu sehen, erkannte Giulia, als er eines Morgens an ihre Tür klopfte und mit einem kleinen, dienernden Männlein im Schlepptau hereinplatzte.
Da Giulia ihre Brüste unverschnürt unter ihrem Hemd trug, wandte sie den beiden Männern sofort den Rücken zu. Am liebsten hätte sie ihren Vater gefragt, ob er von allen guten Geistern verlassen war. Ihr Schrecken nahm noch zu, als Girolamo Casamonte seinen Begleiter vorstellte. »Das ist Signore Sarto, der beste Schneider der Stadt. Ich habe ihn rufen lassen, damit er uns Kleider nach neuester spanischer Mode anfertigt. Er wird jetzt bei dir Maß nehmen.«
Jedes Wort, das sich über Giulias Lippen drängen wollte, wäre eine Sünde gegen das Gebot gewesen, Vater und Mutter zu ehren, und hätte sie zudem verraten. Mit letzter Beherrschung machte sie eine müde Handbewegung und gähnte ausführlich. »Ich fühle mich noch zu unausgeschlafen, um jemand an mir herumhantieren zu lassen. Geh doch mit dem Schneider in dein Zimmer, damit er bei dir das Maß nehmen kann. Ach ja, rufe mir bitte vorher noch
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