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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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fügen musste. Ihre Auftritte vor vielfachem Publikum hatten ihr eine Sicherheit verliehen, die ihm fremd und seinem Gesichtsausdruck zufolge auch ein wenig unheimlich war. »Ich habe dir ja gesagt, dass es mir Leid tut.« Er maulte wie ein kleiner Junge, dem man beim Stibitzen von Pfirsichen erwischt hatte.
    Giulia ließ es dabei bewenden. Trotz aller Aufregungen um den Schneider freute sie sich, als Meister Sarto die bestellten Gewänder zur letzten Anprobe brachte. Er hatte so gute Arbeit geleistet, dass er die meisten Sachen gleich dalassen konnte. Nur Giulias Vater zeigte sich von dem für ihn gefertigten Wams enttäuscht und beauftragte den Schneider, es umzuändern.
    Giulia hingegen war mit ihren neuen Kleidern sehr zufrieden und bestimmte ein grünes, mit silbernen Stickereien verziertes Wams und hellrote Hosen für ihren nächsten Auftritt. Da das neue Wams vorne nach spanischer Mode wie eine Gänsebrust gefertigt und entsprechend ausgestopft war, brauchte Assumpta ihre Brüste nicht mehr so flach zu schnüren wie früher. Sie bewunderte sich in ihrem kleinen Spiegel und fand, dass sie durchaus als hübscher junger Mann gelten konnte. Für eine Frau erschien ihr das Gesicht allerdings nicht ebenmäßig genug. Obwohl sie große, dunkelbraune Augen und lange, seidige Wimpern besaß, wirkte sie mit ihren kurzen Haaren und in der männlichen Kleidung seltsam zwischen den Geschlechtern stehend. Sie war gespannt, wie ihre vornehmen Bekannten und vor allem Paolo Gonzaga, der ja das Gerede über spanische Mode aufgebracht hatte, auf ihre Erscheinung reagieren würden.

XI .
    O bwohl es Paolo Gonzaga gelungen war, die Gerüchte über sich und Pollais Ehefrau Leticia unbeschadet zu überstehen, und er in der Zwischenzeit mehr als eine Schöne zu einem Stelldichein hatte überreden können, fraß die Schmach seiner Niederlage noch immer an ihm. Im ersten Zorn hätte er dem Goldschmied am liebsten aufgelauert und ihn mit dem Schwert aufgespießt. Sein Verstand sagte ihm jedoch, dass Herzog Guglielmo diesen Mord kaum gutheißen würde. Die Reaktion seiner Mutter und seiner Tante auf eine solche Tat mochte er sich nicht einmal vorstellen. Es widerstrebte Paolo jedoch, sich wie ein Hund mit eingekniffenem Schwanz in die Büsche schlagen zu müssen. Er sann nach, wie er Pollai am besten treffen konnte, und kam zu dem Ergebnis, dass es das Beste war, wenn er sich nochmals um Leticia kümmerte. Um Rache zu üben und seine Wut zu stillen, musste er den Goldschmied zum Hahnrei machen.
    Der Zuträger, den er sich in der Stadt hielt, berichtete ihm, dass Leticia Pollai nur noch in Begleitung einer älteren Verwandten und mehrerer kräftiger Diener zur Heiligen Messe gehen durfte. In der übrigen Zeit wurde sie in Pollais Landhaus eingesperrt, das eine Meile vor der Stadt lag.
    Paolo spann etliche Pläne, wie er Pollai und seine Leute überlisten und sich Leticia nähern konnte, verwarf sie jedoch bald wieder, denn der Goldschmied bewachte seine Frau gründlicher als die Schätze in seiner Werkstatt. Bei allem, was er tat, war er auf zuverlässige und vor allem verschwiegene Helfer angewiesen. Von den Bediensteten im Hause seines Vaters kam keiner in Frage, das wusste er aus leidvoller Erfahrung. So verfiel er auf eine Lösung, bei der außer ihm nur sein Protegé, der Kastrat Casamonte, eine Rolle spielte.
    Der Sänger hatte sich in den letzten Tagen auffällig von ihm fern gehalten. Paolo nahm an, dass Casamonte verärgert war, weil er ihm bisher den Lohn für seine Dienste als Postillon d’Amour schuldig geblieben war. Da seine Börse nicht nur wegen seiner neuen Kleider durch Leere glänzte, konnte er diese Schuld erst begleichen, wenn sein Vater ihm das nächste Taschengeld zukommen ließ. Paolo fand es empörend, von den Launen seines alten Herrn abhängig zu sein. Die Alternative wäre jedoch gewesen, Mantua zu verlassen und sich um eine Stelle als Sekretär eines hohen Kirchenmanns oder als Offizier zu bemühen. An beidem war er nicht sonderlich interessiert, ganz abgesehen davon, dass ein solcher Schritt ihn daran hindern würde, Rache zu nehmen.
    Als er an diesem Tag als letzter Gast zur Abendgesellschaft des Grafen von Alari erschien, sah er den jungen Kastraten in einem Gewand, das sich in Farbe und Schnitt kaum von einem seiner eigenen, neuen Kleidungsstücke unterschied. Giulio sah so prächtig aus wie ein Pfau, wenngleich er sich nach Paolos Ansicht nicht im Geringsten mit seiner eigenen Erscheinung messen konnte.

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