Die Kastratin
Das wäre allerdings auch zu viel der Anmaßung gewesen, denn schließlich war Casamonte nur ein Kastrat, während er, Paolo, seiner Ansicht nach einen der feurigsten Hengste im Machtbereich seines Verwandten, des Herzogs von Mantua, darstellte. Aber für seinen Plan benötigte er diesen menschlichen Wallach. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf und einem erfreuten Lächeln auf den Lippen trat er auf den Kastraten zu. »Buon giorno, Signore Casamonte. Wie ich sehe, habt Ihr meinen Rat bezüglich der Mode befolgt.«
Da er sie direkt ansprach, war es für Giulia unmöglich, ihn zu ignorieren. »Gott zum Gruße, Messer Gonzaga. Ich bin Euch sehr dankbar für Eure Ratschläge, muss jedoch sagen, dass mir der spanische Schnitt bei Eurer Kleidung besser zusagt als bei der meinen. Welche Farbe habt Ihr heute gewählt? Ich würde Euer Wams elfenbeinfarben mit kupfernem Futter und Eure Hosen blassblau nennen.« Dabei hielt sie nach ihrem Auftraggeber Ausschau, um Paolo verlassen zu können.
Dieser durchschaute jedoch ihre Absicht und blieb an ihrer Seite. »Erlaubt mir, kurz mit Euch zu sprechen.« Trotz seines sanften Tonfalls klang es wie ein Befehl.
Giulia blieb stehen und streckte die Hand in der Erwartung aus, er würde ihr eine Liebesbotschaft für eine der anwesenden Damen zustecken. Zu ihrer Verwunderung verschränkte er jedoch die Arme vor der Brust und sah sie so durchdringend an, dass sie schon zu fürchten begann, er habe ihre Maskerade durchschaut. »Ich freue mich, dass Ihr so eifrig seid, Casamonte. Doch diesmal geht es nicht darum, ein Brieflein zu besorgen.«
»Was wollt Ihr denn sonst von mir?«, fragte sie mit aufsteigender Panik.
Paola Gonzaga wies auf die Menschen, die sich um sie herum drängten. »Erst einmal ein Gespräch und zwar in einer Umgebung, in der kein zur Unzeit vorbeikommender Gast etwas aufschnappt, was ihn nichts angeht.«
Giulia war jetzt überzeugt davon, Paolo wisse um ihr Geheimnis, und in ihrer Phantasie verwandelte er sich für einen Augenblick in den Henker, der die Fackel in das Reisig des Scheiterhaufens stieß. Verzweifelt fragte sie sich, was er für sein Schweigen verlangen würde. Was es auch immer war, es würde zu ihren Lasten gehen. Sie hatte mittlerweile genug über ihn erfahren, um ihn als gewissenlosen Schürzenjäger einzuordnen. Der Gedanke, ihm ihre Unschuld opfern zu müssen, erfüllte sie mit Abscheu. Doch wenn es kein anderes Mittel gab, um sich und ihren Vater zu retten, würde sie es bringen müssen. »Ihr könnt mich morgen im Goldenen Lamm aufsuchen«, schlug sie vor.
Paolo Gonzaga schüttelte den Kopf. »Ich will nicht in der Stadt mit Euch gesehen werden.«
Im ersten Augenblick empörte Giulia sich über diese Antwort. Er behandelte sie ja direkt, als wäre sie eine Aussätzige. Sie bezwang jedoch ihre aufgewühlten Gefühle und sah ihn so ruhig und gleichgültig an, wie es ihr möglich war. »Dann schlagt Ihr doch einen Treffpunkt vor.«
»Wie hieß die Kirche, in der ich Euch zuerst hörte? War es nicht Santa Maria Maddalena?«
Giulia bejahte. Paolo Gonzaga verzog angewidert die Lippen, als er an die ärmliche Kirche dachte. Mit ihren kahlen, düsteren Winkeln und den dunklen Säulengängen stellte sie jedoch einen idealen Treffpunkt dar. »Ich erwarte Euch dort morgen nach der Frühmesse. Zieht aber etwas Unauffälligeres an, damit Euch die Leute nicht schon von weitem erkennen.«
Damit wandte er sich ab, um einen anderen Gast zu grüßen, und ließ Giulia als Opfer widerstrebendster Gefühle zurück. Natürlich würde sie morgen am vereinbarten Treffpunkt sein, schon um Schlimmeres zu verhüten. Ihre Gedanken rasten. Es wäre wohl besser für sie gewesen, Paolo Gonzaga hätte sie niemals singen gehört, auch wenn sie dann immer noch ein unbedeutendes, als Junge verkleidetes Mädchen und nicht der gefeierte Kastratensänger Casamonte wäre und ihre Auftritte vor einem erlesenen Publikum und den Applaus, der sie dabei umrauschte, vermissen würde.
Inzwischen war ihr Auftraggeber, der Graf von Alari, auf sie aufmerksam geworden und unterbrach jäh ihre Gedanken. »Ich freue mich, dass Ihr gekommen seid, Messer Casamonte, und hoffe, Ihr werdet uns eine Kostprobe Eurer Kunst zeigen. Ich bitte Euch jedoch, dabei mein Kristall zu schonen.«
Mehrere Gäste, die es hörten, lachten über diesen Scherz. Giulias Blick suchte kurz nach Paolo Gonzaga, doch dieser hatte den Raum bereits verlassen. So folgte sie dem Gastgeber mit einem gezwungenen Lächeln in
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