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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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hatte, plötzlich klein beigeben? Ritt Theobalds
vormals so großes Gefolge wirklich nach Hause zurück oder folgte es ihnen
unauffällig, um Toulouse zu stürmen, wenn der Schwester des Grafen die Tore
geöffnet würden? Sammelte es gar weitere Truppen? War der Kreuzzug gegen
die Katharer wieder heimlich aufgenommen worden? Sollte sie der Lockvogel
sein?
    Marmande, dachte Clara und begann trotz der Mittagssonne, die
bereits recht kräftig vom Himmel schien, vor Kälte zu zittern. Damals hatten
sie Männer des Königs in die Garonne geworfen. Nichts und niemandem war zu
vertrauen, so viel hatte sie in den vergangenen Jahren gelernt.
    Ein Dreivierteljahr zuvor hatte sich Clara von Assisi aus allein auf
den weiten Weg ins Languedoc machen wollen. Damals war sie krank, geschwächt
und verzweifelt gewesen. Jetzt war sie gesund, kräftig, nahe dem Einflussgebiet
ihres Bruders und nur wenige Tagesritte von Toulouse entfernt. Schon begann die
Landschaft vertraut zu werden. Sie begrüßte die Machandelbäume, die Pinien und
Zypressen ihrer Kindheit, atmete Luft ein, die nirgendwo den Menschen so sanft
umfängt wie in Okzitanien.
    Ja, dachte sie, vermeintliche Beschützer haben sich allzu oft als
todbringende Zerstörer erwiesen. Nein, sie brauchte keine Begleitung; sie würde
den Weg allein finden und ihren Bruder warnen.
    Von einem Hügel aus erblickte sie in einem Tal ein zwischen Büschen
fast verstecktes kleines Anwesen, zu dem von ihrer Straße aus ein winziger
schmaler Trampelpfad hinabführte. Sie merkte sich den toten Baum mit dem fast
weißen Stamm kurz hinter der Abbiegung; den würde sie auch im Halbdunkel sicherlich
mühelos wiederfinden können.
    Von der Mitte des Zugs ließ sie sich fast unmerklich bis ans Ende
zurückfallen. Als wenig später die Sonne hinter den Bergen versank und die
Straße eine Kurve nahm, bat sie die neben ihr Reitenden um Entschuldigung; sie
sollten bitte weiterziehen; sie müsse sich nur erleichtern und würde ihnen dann
hinterhergaloppieren. Ein Mann fragte gutmütig, ob er Wache halten solle, aber
Clara wies gequält lachend auf das verlassene Gebiet um sie herum, lehnte
dankend ab und zügelte ihr Ross.
    Als der letzte Reiter hinter der Kurve verschwunden war, wendete sie
und gab ihrem Pferd die Sporen.
    Wie viele Bäume in der Dämmerung doch plötzlich tot aussehende weiße
Stämme hatten! Wo war der Pfad, der zu dem hinter Büschen halb versteckten
Anwesen führte? Clara fand ihn nicht, ritt verzweifelt wieder ein Stück
zurück. Hatte sie die Abzweigung übersehen? Er musste doch hier sein! Es
wurde schnell dunkel. Pferdegetrappel näherte sich. Sie hörte Theobald nach ihr
rufen. Theobald, der in Blankas Auftrag ihre persönliche Lage für irgendwelche
politischen Zwecke ausnutzen sollte. Sie war nur eine unwichtige Figur auf dem
Schachbrett einer unübersichtlichen Strategie; keinem Menschen war wirklich an
ihr und ihrem Schicksal gelegen. Ach, Felizian! Für dich war ich vielleicht
eine teuflische Versuchung, aber du hast mich als die Frau, die dich liebt,
wahrgenommen und mir sogar noch nach deinem Tod eine Botschaft zukommen lassen.
Den gleichen Rat gegeben, wie die Katharerin in Macôn. Folge deinem Herzen. Das
sagt jetzt: Bloß fort von hier, wo jeder am Unheil des anderen zimmert.
    Ein kahler Stamm schimmerte im Halbdunkel, war das der tote Baum?
Clara, jetzt von panischer Angst ergriffen, drückte ihr widerstrebendes Pferd
durch das Gebüsch und gab dem Tier die Sporen.
    Ein heiserer Schrei löste sich aus ihrer Kehle, als sie aus dem
Sattel flog und den Hang hinunterstürzte.
    »Wach auf, Clara, wach auf!«
    Vorsichtig öffnete Clara die Augen. Sie lag, von einem Schaffell
bedeckt, auf einem breiten Bett in einer winzigen Kammer, offensichtlich dem
abgetrennten Verschlag eines Wohnraums, aus dem viele Stimmen drangen. Theobald
saß neben ihr und schlug ihr leicht auf die Wangen.
    »Gott sei Dank, du bist wieder bei uns!«, stieß er aus und rückte
ein Stück von ihr ab. »Wir haben so um dich gebangt!«
    »Was …« Clara brachte die Worte nicht hervor.
    »Komm, trink erst etwas, damit du zu Kräften kommst!« Theobald
stützte mit einer Hand ihren Rücken, damit sie sich aufsetzen konnte, und
reichte ihr mit der anderen eine Schale mit klebrig süßem verdünntem Wein.
    »Es ist mir rätselhaft, wie dein Pferd vom Weg abkommen konnte«,
sagte Theobald kopfschüttelnd, »nun, es hat diesen Ungehorsam mit dem Leben
bezahlt. Dabei wäre es nur ein paar Schritte weiter

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