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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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verstrichen,
seitdem Ludwig aus Zorn über Theobalds Untreue in Avignon verkündigt hatte, die
Champagne verwüsten zu wollen.
    Wie schnell sich alles gedreht, verändert hat, und wie viel seitdem
geschehen ist, überlegte Clara erschrocken.
    Wen und was würde sie in Toulouse vorfinden? Ihren Vater nicht,
der war vier Jahre zuvor gestorben. Das Herz tat ihr immer noch weh, wenn sie
an den letzten Abschied dachte, an die Wut ihres Vaters. Wie dumm sie damals
doch gewesen war, wie unwissend! Würde ihr Bruder sie willkommen heißen, auch
wenn sie abermals mit Männern des Königs in seine Stadt einritt?
    In ihrem Umfeld hatte schon seit Langem niemand mehr über die
Katharer gesprochen; angesichts des Aufstands der Barone schien jeder die
Häretiker und den Aufruf zum Kreuzzug vergessen zu haben. Aber Rom hatte ihn
nie für beendet erklärt. Und der seit März herrschende neue Papst Gregor IX . galt als unnachsichtiger Verfolger jedweder häretischer
Armutsbewegung.
    Clara war nach dem Vertrag von Vendôme mit Blanka sogleich nach
Paris zurückgekehrt und hatte sich schon am nächsten Tag auf die Suche nach
ihren katharischen Freunden gemacht. Sie waren alle verschwunden. Beim Gang
durch die Gassen der Stadt achtete sie auf Menschen in Katharer-Kleidung, auf
geheime Zeichen; es gab keine mehr. In den Häusern der Katharer lebten jetzt
andere Menschen. Auf vorsichtige Fragen nach den früheren Bewohnern wurde ihr
meistens die Tür vor der Nase zugeschlagen. Manchmal wurde ihr beschieden, man
habe genügend eigene Sorgen, da könne man sich doch nicht auch noch die
anderer, zumal fremdländisch aussehender Abweichler aufbürden. Sie schlich
nachts verstohlen aus dem Cité-Palast, suchte Kirchen, Keller, Scheunen und
andere einstige heimliche Versammlungsstätten auf – vergeblich. Ein einziges
Mal begegnete ihr nahe der Kathedrale auf der Île eine vormalige Credens. Sie
hatte zwei kleine Kinder an der Hand, trug ein großes Kreuz auf der Brust und
tat, als wäre ihr Clara, die so oft inbrünstig mit ihr gebetet hatte, völlig
fremd. Dennoch folgte Clara ihr bis zu ihrem Haus. Als sie hinter der Frau
einzutreten versuchte, wandte sich diese um und zischte ihr ins Gesicht: »Du
willst wohl unbedingt brennen, Ketzerin! Verschwinde! Wenn du mich noch
einmal ansprichst, melde ich dich! Es ist vorbei!«
    Das, was die katholische Kirche
Häresie nannte, schien sie im Norden ausgerottet zu haben. Clara wusste nicht,
wie das geschehen konnte, und wagte es nicht, irgendjemanden am Königshof dazu
zu befragen. Blanka hatte ihr unmissverständlich geboten, ihren ketzerischen
Glauben aufzugeben und, falls ihr das nicht möglich erschien, ihn zumindest für
sich zu behalten. »Ich kann dich nicht ständig vor Verfolgung schützen; ich
muss mich um zu viele andere wichtigere Angelegenheiten kümmern.«
    Jedes Mal, wenn Clara nachts vom Cité-Palast aus in der Ferne den
Schein eines größeren, aber kontrollierten Feuers erblickte, betete sie für die
Seele, die dort möglicherweise dem Himmelreich entgegenflog.
    War es gänzlich ausgeschlossen, dass auch diese Männer, mit denen
sie jetzt ritt, in Toulouse ihre Mäntel wendeten, Kreuze offenbarten und sich
wieder ihres sogenannten Seelenheils entsannen? Je weiter sie nach Süden
drangen, desto argwöhnischer hielt Clara nach solchen Zeichen Ausschau.
    Ihr fröstelte. Nach dem Intrigensumpf, den sie in den vergangenen
Monaten erlebt hatte, erschien ihr nichts mehr unmöglich. Auch nicht ein Verrat
Blankas. Warum sollte die Königin ihren wichtigsten Vasallen mit einer
unbedeutenden, häretischen Hofdame in die Stadt eines der größten Gegner des
Königshauses schicken? Auf dem großen Schachbrett ihrer Politik schob Blanka
doch ständig die Figuren hin und her und schien vorher schon immer den nächsten
Zug ihres Gegenübers zu erahnen.
    Sie hatte Clara gegenüber behauptet, sie wolle sich mit dem Grafen
von Toulouse versöhnen, und zu diesem Behufe sei Theobald beauftragt, ihm ein
Verhandlungsangebot zu unterbreiten. Ihr, Clara, konnte man alles erzählen; sie
war doch das leichtgläubige dumme Ding, das sich von der Welt abgewandt hatte,
nichts von Politik verstand und nicht begriff, weshalb aus Feinden im
Handumdrehen Freunde wurden und umgekehrt. Immer ging es um eigene Interessen
und nie um das Wohl der Menschen, um Seelen oder gar um Verwandtschaft des
Glaubens und des Geistes.
    Warum sollte ihr Bruder, der sich so lange so erfolgreich gegen den
französischen König gewehrt

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